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Vermischtes

Puppen- und Zinnfiguren-Theater als Kammerspiele der besonderen Art

von Dieter Beller

In den unergründlichen Weiten des Netzes stößt man häufig auf kleine Pretiosen, Geschichten und Schicksale, die im alltäglichen Medien- und Politik-Trubel leicht untergehen würden, gäbe es nicht Enthusiasten, die mit viel Liebe ihre Hobbys pflegen und dafür werben. Dieter Beller hat sich gleich – zwei Seelen wohnen offenbar in seiner Brust – für zwei Hobbys entschieden, die er trefflich zu verbinden weiß: Die Liebe zu Literatur, speziell zu Goethe und seinem „Faust“ und zugleich sein Faible für kunstvoll gestaltete und bemalte Zinnfiguren. Wie es zu dieser Entwicklung kam, schildert Dieter Beller selbst:

Unter dem Markennamen bellazinnfigur gebe ich seit einigen Monaten einige eigene Zinnfiguren als privater Herausgeber heraus. Ich mache das nebenberuflich aus purer Leidenschaft für mein Hobby. Die Zinnfiguren verkaufe ich zwar, aber wenn ich irgendwann einmal mein investiertes Geld wieder zurückbekommen habe, würde das meine Erwartungen schon übertreffen. Das Thema Zinnfiguren ist eine gesellschaftliche Nische.  

Zinnfiguren sammle ich schon seit über vierzig Jahren. Einige Figuren aus meiner Sammlung können sie auf Instagram (@bellazinnfigur) sehen. Ich habe jeweils kleine Geschichten dazu erzählt. Mich interessieren militärische Themen überhaupt nicht. Für Kriegsspielzeug habe ich nichts übrig. Außerdem sind die Militärfiguren ziemlich langweilig. In meiner Sammlung befinden sich Figurendarstellungen quer durch die menschliche Kulturgeschichte von der Steinzeit bis in die jüngere Zeit. Es gibt auch etliche schöne Märchenmotive und viele Themen aus der Literatur. Auf meinem Instagram-Beitrag sehen Sie zum Beispiel das Märchen vom Igel und dem Hasen oder Don Quichote und Sancho Pansa. 

Jetzt bin ich schon bei meiner eigentlichen »Doppelpassion« angelangt. Nämlich die Leidenschaft für die Zinnfigur und meine jahrelange Beschäftigung mit der Gestalt des „Faust“. Beide Themen begleiten mich nahezu mein ganzes Leben lang. Wie kommt man dazu, sich für solche Dinge zu interessieren? Als Kind spielte ich mit einem Puppentheater, das mein Vater aus Pappmaschee für mich gebaut hatte. Zu den Figuren, die meine Mutter in Handarbeit gebastelt, genäht und gestrickt hatte, gehörten neben den klassischen Figuren wie dem Kasperle, dem Polizisten und der Marktfrau unter anderem auch ein Professor Faust und der Teufel, der mir gleich auch als Mephisto bekannt war. Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich glaube, dass meine Eltern diese Figuren einbrachten, weil sie so beeindruckt von der damals aktuellen Verfilmung mit Gustav Gründgens und Will Quadflieg waren. Ich bin 1957 geboren und muss zirka 3-4 Jahre alt gewesen sein, als der Film erschien. Gesehen habe ich ihn natürlich erst viel später. Aber ich habe mit Faust und Mephisto Kasperle gespielt, oder mein Vater hat mir gerne diese und andere Dinge vorgespielt.

Dieser literarische Stoff hat mich dann immer wieder fasziniert und begeistert. Seit meiner Jugend bis heute habe ich viele „Faust“-Inszenierungen in deutschen Theatern gesehen. Zum Beispiel den „Urfaust“ Anfang der 80er Jahre am Berliner Ensemble mit dem genialen Arno Wyzniewski als Mephisto oder die 22stündige Inszenierung der gesamten Tragödie von Peter Stein mit Bruno Ganz in der Hauptrolle, das muss um die Jahrtausendwende gewesen sein. Oder zuletzt vor zirka zwei Jahren in Essen, wo Senioren-Laiendarsteller in reinen Sprechrollen den gesamten „Faust I“ vortrugen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Zum Thema Zinnfiguren bin ich relativ zeitgleich als Jugendlicher bei einem Besuch des Zinnfigurenmuseums in Kulmbach gekommen. Die kleinen Figuren und Dioramen haben mich sofort begeistert. Wenig später besuchte ich – ebenfalls in Kulmbach – die internationale Zinnfigurenbörse und nahm an einem einwöchigen Miniaturmalkurs auf der Plassenburg teil. Seitdem sammele ich diese kleinen »Pretiosen« und besitze wohl inzwischen 3 – 5.000 Figuren. Ich kenne die Anzahl gar nicht genau. Vieles ist bei mir zuhause in Vitrinen ausgestellt, das Meiste aber in Schränken und Schubladen.

2019 habe ich mich entschlossen, beide Passionen, „Faust“ und die Zinnfigur, miteinander zu verbinden und eigene Figuren zum Thema „Faust“ herauszugeben. Zum „Faust I“ gibt es bereits zirka 100 kleine Figuren in Zinn, die der geniale Graveur Franz Karl Mohr aus Leipzig in den 50er und 60er Jahren herausgebracht hatte. Mein Ziel war es, das Werk des nach schwerer Krankheit viel zu früh verstorbenen Karl Mohr fortzusetzen und mich an den zweiten Teil der Tragödie zu wagen.

Nun ist das Projekt im Gange. Als erste Serie ist die Papiergeldszene entstanden, in der Mephisto den Kaiser überredet, Papiergeld einzuführen, um das marode Kaiserreich vor dem Ruin zu retten. Mit 22 Figuren wird diese Szene bildhaft nachgestellt. Ich habe mich als erstes für dieses Thema entschieden, weil es einen so frappierenden aktuellen Bezug hat. 

Als nächste Serie ist bereits die Grablegung Fausts in Arbeit und wird noch dieses Jahr erscheinen. Mein Ziel ist es, zu jedem der 5 Akte des „Faust II“ eine Serie mit jeweils zirka 20 Figuren herauszugeben. Als dritte Serie wird die Klassische Walpurgisnacht graviert. Zu allen diesen Serien stelle ich mit den Veröffentlichungen aktuelle gesellschaftliche Bezüge her. Sind es bei der Papiergeldszene die Diskussion um die Abschaffung des Bargeldes, die Entwicklung digitaler Währungen und die gigantische globale Schuldenblase, so werde ich bei der Grablegungsszene Themen wie die Debatte um die Sterbehilfe einbeziehen. Bei der Klassischen Walpurgisnacht, wo es ja um den von Wagner geschaffenen künstlichen Menschen Homunkulus geht, drängen sich Aspekte wie die sogenannte Künstliche Intelligenz oder auch das mögliche Klonen von Menschen auf. 

Ich möchte damit einerseits deutlich machen, dass der Fauststoff aktueller denn je ist und andererseits möchte ich die Zinnfigur nicht als bloß schön zu betrachtendes Werk der Handwerkskunst inszenieren, sondern sie in aktuelle gesellschaftliche Bezüge stellen und Diskussionen anregen. Warum soll nicht eine Zinnfigur, ähnlich wie andere Gattungen, wie zum Beispiel das Theater oder die bildende Kunst, sich in den gesellschaftlichen Diskurs stellen? Mit dieser Meinung bin ich allerdings in der Zinnfigurenszene wohl eher die Ausnahme. 

Wenn alle 5 Serien mit zirka 100 Figuren fertig gestellt sind, plane ich eine Wanderausstellung mit 20–30 Dioramen, die zusätzlich mit den bereits existierenden 100 Figuren zum „Faust I“ das gesamte Epos bildhaft und mit leicht verständlichen Erläuterungen darstellen. Ich bin mir sicher, dass viele Menschen, die sich bisher nicht an diesen ‚schweren Stoff‘ herangetraut haben, einen alternativen und vielleicht ‚leichter verdaulichen‘ Zugang zu Goethes „Faust“ und Denkanstöße zu den genannten Themen bekommen. Ich möchte die gesamte Tragödie in kleinen Szenen für jedermann verständlich darstellen.

Bei der Konzeption der Figuren und Szenen habe ich mich übrigens wesentlich von den Kommentaren von Albrecht Schöne in der Bibliothek Deutscher Klassiker leiten lassen. Seine zum Teil sehr humorvollen und kritischen Interpretationen spiegeln sich auch in den Figurenszenen wider. Er hat die Figuren inzwischen bekommen und ich habe mich sehr über sein Lob gefreut.

Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter der Goethe-Gesellschaft, Ausgabe 3/2021.


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