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Lichtbogen: Günther Uecker verbindet Goethe mit der Gegenwart – der Katalog zur Ausstellung in Düsseldorfs Museum Schloss Jägerhof

von Andreas Rumler

Zu den international bekanntesten und erfolgreichsten Künstlern gehört der in Mecklenburg geborene Günther Uecker. Vor einiger Zeit war der intensive Einsatz von Hammer und Nägeln sein Markenzeichen, längst hat er die Palette seiner Ausdrucksformen erweitert. Seit Jahrzehnten lebt und arbeitet er in Düsseldorf. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass er sich in seinen Werken von Goethe, besonders dessen Überlegungen und Forschungen zur „Farbenlehre“ inspirieren ließ. Das ist einer der Gründe, warum es dem Düsseldorfer Goethe-Museum in Schloss Jägerhof gelang, ihn für interessante Ausstellungs-Projekte zu gewinnen.

In den letzten Jahren hat Günther Uecker Fenster für den Schweriner Dom entworfen, um die im Krieg zerstörten historischen Buntglasfenster der gotischen Backstein-Kathedrale zu ersetzen. Als Motiv wählte er weiße und blaue Lichtbogen, wie Goethe sie als optisches Phänomen beschrieb und wie sie in literarischen Texten vorkommen, etwa in der „Bibel“.

In seiner Werkstatt im Düsseldorfer Hafen hat Günther Uecker Entwürfe für die Fenster gestaltet, etwas verkleinert zwar, gemessen an den hohen gotischen Fenstern, aber auf immerhin drei Meter langen Leinwänden. „Nicht nur Museumsbauten sind Orte der Kunst“, sagt Günther Uecker. „Diese Gotteshäuser – ob christliche Kirche, Synagoge, Moschee oder Tempel – sind Stein gewordenes Halleluja, das wir aus dem Unsichtbaren formulieren. Himmlische Ortschaften, in denen Gebet und Liturgie ihren Platz haben und die eine Vertiefung in die Glaubensdimension außerhalb jeder Rationalität, außerhalb des Erkennbaren und damit die Vergegenwärtigung göttlicher Existenz unmittelbar möglich machen. Wie eine Schatulle, die ein Geheimnis birgt, welches sie nun dem Betrachter im Innern offenbart.“

Im Jahr 2020, während der Pandemie, malte Günther Uecker zurückgezogen in seiner Werkstatt an den Fensterentwürfen, seinen „Lichtbogen“.

Jeweils ein weißer Bogen, ausgespart aus Blau, so weit wie der Himmel und so tief wie das Meer, fügt sich in die Wölbung des gotischen Spitzbogens ein. In himmlisch blauem Licht sollen sie den Kirchenraum erstrahlen lassen. Für Uecker war das Jahr der Bedrohung als Zeit für innere Einkehr auch eine Phase der Inspiration und tieferen Erkenntnis.
Den Prozess der Gestaltung beschreibt Günther Uecker so: „Wasserfarben, Tinte, Tempera und Leim, vermischt, auf Papier und Leinwand aufgetragen, bilden im Vermischen der Pigmente im Wasser eine fließende Randzone. Ein Lichtbogen, der uns ins Universum führt auf der Narbe unserer Verletzungen.“ Und fährt fort: „Der Pinselstab, angebunden wie ein Zirkel, bildet eine Linie, durchdringt den Malgrund im Aufbegehren einer Lebenskraft, wie ein Stoßgebet eines vitalen Handelns, eine Bedrängnis zu überwinden.“ Günther Ueckers Entwürfe wurden von den Derix Glas Studios in Taunusstein ausgeführt. Die ersten beiden von insgesamt vier von Uecker gestalteten Fenstern wurden im September 2023 im Schweriner Dom montiert. Fenster drei und vier werden im Herbst 2024 folgen.

Das Goethe-Museum Düsseldorf zeigt erstmals 13 jeweils drei Meter hohe Fenster-Entwürfe Günther Ueckers auf Leinwand sowie Tafeln aus geätztem und mit Glasschmelzfarben bemaltem, blauem Überfangglas, an denen man nachvollziehen kann, wie die aquarellartig fließenden Farbverläufe und die wie Lichtreflexe auf dem Meer glitzernden Aussparungen in Glas „übersetzt“ wurden. Ein Film von Michael Kluth dokumentiert die Anfänge des Projektes von Ueckers Begehung des Schweriner Doms bis zur Betrachtung der „Lichtbogen“ beim Besuch des Pastors Volker Mischok in Günther Ueckers Werkstatt in Düsseldorf. Im Museum wies Günther Uecker darauf hin, dass Goethe das Bild des Regen- oder Lichtbogens so wichtig war, dass er Johann Heinrich Meyer – Goethe-Freunden auch als „Kunschtmeyer“ vertraut – bat, ihm eine Iris in einem solchen Bogen an die Decke des Treppenhauses am Frauenplan zu malen. Besucher können das Bild bis heute betrachten, während sie beim Eintreten mit dem Gruß „Salve“ empfangen werden.

Auch in ihrem Respekt gegenüber den architektonischen Meisterleistungen der gotischen Kathedralen kommen Goethe und Uecker sich nahe. Goethes erster publizierter Prosa-Text beschrieb das Straßburger Münster und feierte 1773 den Baumeister „Ervini a Steinbach“. Gegen Ende seines Lebens setzte er sich dafür ein, dass der Kölner Dom vollendet wurde. Goethe hatte sich bereits bei Cotta in Tübingen für Glaskunst in der Stiftskirche nebenan interessiert und sie beschrieben. Seit 70 Jahren lebt Günther Uecker in Düsseldorf, hat aber seine mecklenburgische Heimat nicht vergessen und schätzt deren hanseatische Backstein-Architektur. Und er wirbt seit Jahrzehnten für die Versöhnung der Weltreligionen. 1998/99 etwa gestaltete er den überkonfessionellen Andachtsraum im Berliner Reichstagsgebäude und auch im Schweriner Dom hat er als Künstler Zeichen gesetzt. 2009 waren dort unter dem Titel „Dialog“ Friedensgebote aus dem „Alten Testament“ und Verse aus dem „Koran“ zu lesen, Günther Uecker hatte sie auf lange Stoffbahnen geschrieben und im Chor aufhängen lassen.

Bereits 2020 hatte das Goethe-Museum Günther Uecker aus Anlass seines 90. Geburtstags eine Ausstellung gewidmet: „Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen: Uecker – Hafis – Goethe.“ Günther Ueckers „Huldigung an Hafez“, ein Zyklus von 42 Druckgrafiken, umfasst neben Siebdrucken auch Sand- und Prägedrucke. Angeregt vom Bilderreichtum der 650 Jahre alten Verse des persischen Dichters, führt Günther Uecker seine weit ausschwingende Handschrift mit leuchtenden Malereien in einem temperamentvollen Tanz zusammen. Die Gedichtsammlung des Hafis inspirierte Goethe wie Uecker: eine Brücke zwischen den Jahrhunderten und Kulturen zu schlagen, den Blick vom Orient auf den Okzident zu richten.

Der opulent illustrierte Katalog über das Schweriner Projekt „Uecker Lichtbogen“ umfasst 130 Seiten und wurde von der Kuratorin Dr. Barbara Steingießer herausgegeben. Darin erläutern sie und der Direktor und Vorstand der Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, Professor Dr. Christof Wingertszahn, ausführlich dieses Ausstellungs-Projekt und stellen den Bezug zu Goethe her. So wird ein interdisziplinärer Dialog sichtbar, Anregungen nimmt er auf und gibt sie weiter: von den legendären Erzählungen der „Bibel“ über Goethes Welt bis in die Gegenwart.

(c) Goethe-Museum Düsseldorf

Barbara Steingießer (Hrsg.)
Uecker Lichtbogen – Entwürfe zu Fenstern im Dom zu Schwerin

Düsseldorf 2024
130 Seiten
ISBN 978-39820611-5-3

Preis: 25,00 €


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