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„Man möchte fürchten, das Haus fiele ein.“ – Goethe und Beethoven im Düsseldorfer Goethe-Museum

von Andreas Rumler

Wie so oft werden auch über die wenigen Begegnungen von Johann Wolfgang von Goethe und Ludwig van Beethoven in Teplitz und Karlsbad Anekdoten kolportiert. Was davon wahr ist und wie weit dichterische Überhöhung eine Rolle spielt, entzieht sich längst unserer Kenntnis. Deshalb lohnt es, authentische Zeugnisse über Kontakte der beiden Genies sehen und hören zu können. Gelegenheit dazu bietet das Düsseldorfer Goethe-Museum in Schloss Jägerhof nun in einer Sonder-Ausstellung, sie ist bis zum 19. Juni 2022 zu sehen, wird wegen des großen Interesses aber möglicherweise verlängert.

Dank des umfangreichen Bestandes der Sammlung Kippenberg von Handschriften, Musikalien und bibliophilen Drucken kann das Haus diese Schau fast allein aus eigenen Mitteln bestreiten, um diesen produktiven Dialog zweier ungleicher Geister zu dokumentieren. Sie schätzten sich und regten sich gegenseitig an, unterschieden sich aber in ihren Charakteren fast noch mehr als in ihren Künsten.

Anton Kippenberg war Verleger und begeisterte sich für Musik. Mit dem Musik-Wissenschaftler und Literaturnobelpreisträger Romain Rolland korrespondierte er über Beethoven und hat zahlreiche Drucke von Beethovens Goethe-Vertonungen gesammelt. In Düsseldorf ausgestellt sind neben Rollands französischem Aufsatz und Kippenbergs Übersetzung auch Teile ihrer Korrespondenz, die das Deutsche Literaturarchiv Marbach zur Verfügung stellte. Der Goethe-Liebhaber Rolland schätzte den Komponisten außerordentlich, besonders auch, weil er engagiert seine zunehmende Ertaubung auszugleichen versuchte, deshalb nicht resignierte.

Kippenberg übersetzte einen Essay von Rolland ins Deutsche; seine Anstreichungen sind erhalten und befassen sich mit drei kontrovers diskutierten Punkten, die in der Ausstellung wiederkehren: Welche Rolle spielte Goethes Musikberater Carl Friedrich Zelter, der Leiter der Berliner Singakademie, in Goethes Beurteilung von Beethoven? Wie wirkte Bettina von Arnim als Vermittlerin? Vor allem aber: Wie verstanden sich der Dichter und der Musiker.

Beethoven schätzte Goethe zeit seines Lebens persönlich als bedeutenden deutschen Dichter. Seine Werke kannte er gut. Goethe war beeindruckt von Beethovens Charakter, schreckte aber vor dessen „ungebändigter Persönlichkeit“ zurück und wahrte Distanz. Von Beethoven sind zwei Briefe an den Weimarer erhalten; Goethe selbst adressierte an ihn nur ein förmliches Schreiben und antwortete nicht auf Zusendungen von Partituren.

An vier Tagen im Juli des Jahrs 1812, während Napoleon mit seiner grande armée gen Moskau marschierte, begegneten Goethe und Beethoven einander im böhmischen Bad Teplitz, der europäische Adel und führende Geschäftsleute verkehrten am Brunnen. Dort konnten auch die Beiden sich intensiv austauschen. Goethe schrieb am 19. August 1812 fasziniert an Christiane: „Zusammengefaßter, energischer, inniger habe ich noch keinen Künstler gesehen. Ich begreife recht gut, wie er gegen die Welt wunderlich stehn muß.“

Seinem Freund Zelter gegenüber wurde er wenige Tage später deutlicher: „Sein Talent hat mich in Erstaunen gesetzt; allein er ist leider eine ungebändigte Persönlichkeit, die zwar gar nicht unrecht hat, wenn sie die Welt detestabel findet, aber sie freylich dadurch weder für sich noch für andere genußreicher macht. Sehr zu entschuldigen ist er hingegen und sehr zu bedauern, da ihn sein Gehör verläßt, das vielleicht dem musicalischen Theil, seines Wesens weniger als dem geselligen schadet. Er, der ohnehin laconischer Natur ist, wird es nur doppelt durch diesen Mangel.“

Beethoven genoss offenbar den Umgang mit Goethe und hoffte auf ein Libretto des Dichters. Dazu kam es nicht. Vermutlich hat dem Musiker auch missfallen, dass der Literat zu viel „Hofluft“ aufnahm. Goethes Arbeitgeber, Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, hatte ihn aufgefordert, in Teplitz der österreichischen Kaiserin Maria Ludovica Gesellschaft zu leisten.

Viel von der legendären Überlieferung der Begegnung der beiden Genies hat Bettina von Arnim in die Welt gesetzt und damit einen Mythos initiiert, der bis heute fortlebt. Bei einer Begegnung Goethes und Beethovens mit Angehörigen des österreichischen Hochadels sei Goethe demütig zur Seite gerückt, während Beethoven sich trotzig der Gruppe gegenüber behauptet habe. Die Schriftstellerin veröffentlichte 1839 drei angeblich an sie adressierte Briefe Beethovens und publizierte sie erneut in ihrem Briefroman „Ilius Pamphilius und die Ambrosia“.

Ihre Schilderung wurde von dem wilhelminischen Maler Carl Röhling aufgegriffen, auf einem heute verschollenen Gemälde dargestellt und dann als Lithographie verbreitet, die auch als Fotografie das Goethe-Beethoven-Bild prägte. Eine sozialkritische Legende, so recht im Sinn mancher Pädagogen. Sie gelangte als Illustration in Schulhefte der DDR, von denen die Ausstellung eines zeigt. Auf Grundlage dieser Überlieferung beauftragte 1954 ein Ehepaar aus Sondershausen in Thüringen den Maler Ludwig Bauer, die Lithographie wieder als Ölgemälde zu gestalten. In Düsseldorf dokumentiert dieses Bild, wie Legendenbildung funktioniert: als fortlaufende Überblendungen und Ausmalungen eines Ereignisses über Erzählungen und deren künstlerische Ausschmückung.

Bettina von Arnims Beethoven-Rezeption wird anschaulich demonstriert. Erstmals zu sehen sind ihre Originalhandschriften, die als Vorlage für „Ilius Pamphilius und die Ambrosia“ dienten, er beruht auf ihrer Korrespondenz mit dem jungen Dichter Philipp Nathusius. Allein, von den drei angeblichen Briefen Beethovens stammt nur einer wirklich von dem Komponisten. Das Original hat Bettina von Arnim Nathusius für seine Autographen-Sammlung geschenkt.

Der wohl bedeutendsten Goethe-Vertonung Beethovens, seiner Bühnenmusik zu „Egmont“, widmet sich ein weiterer Bereich der Ausstellung. Goethe gewann die Idee zu der Tragödie über die Hinrichtung des Freiheitskämpfers Egmont in den spanischen Niederlanden in seiner Sturm und Drang Zeit; das Drama vollendete er aber erst 1788 in Italien. Goethe hat sein Trauerspiel mit engem Bezug auf die musikalische Darstellung angelegt. Es enthält nicht nur zwei Lieder von Egmonts Geliebter Klärchen, sondern sieht auch Hintergrundmusik zu Klärchens Tod und Egmonts Kerkeraufenthalt vor. Gegen Ende fordert Goethe: „die Musik fällt ein und schließt mit einer Siegessymphonie das Stück“. Goethe baute also in wichtigen Szenen statt auf sein Wort auf die Wirkung von Musik.

Beethoven stellte die Auftragskomposition für die Wiener Erstaufführung im Burgtheater 1810 bereits fertig. In Weimar wurde sie unter Goethes Intendanz 1814 erstmals in einer Egmont-Aufführung gespielt. Freundlich und gewiss interessiert wandte Beethoven sich an Goethe schon 1811: „sie Werden Nächstens Die Musik zu Egmont von Leipzig Durch Breitkopf und Hertel erhalten, diesen Herrlichen Egmont, den ich, indem ich ihn eben so warm als ich ihn gelesen, wieder durch sie gedacht, gefühlt, und in Musick gegeben habe – ich wünsche sehr ihr Urtheil darüber zu wißen, auch der Tadel wird nur für mich und meine Kunst ersprießlich seyn, und so gern wie das gröste Lob aufgenommen werden.“

Nicht bekannt ist, ob Goethe schriftlich das Werk beurteilte; er hat die Komposition aber geschätzt. So äußerte er gegenüber Friedrich Förster 1821: „Beethoven ist mit bewundernswertem Genie in meine Intention eingegangen“. Von der neunteiligen Schauspielmusik ist die Ouvertüre am bekanntesten, gefolgt von Klärchens Liedern „Die Trommel gerühret“ und „Freudvoll und leidvoll“. Die Zwischenakte und Schlußszenen sind musikalisch eng verzahnt. Egmonts Traum, worin ihm die Freiheit in Gestalt Klärchens erscheint, ist mehrfach in Bildern dargestellt worden und wurde von Schiller in einer Rezension als „Salto mortale“ des Trauerspiels in eine Opernwelt kritisiert.

Klärchens Lied „Freudvoll und leidvoll“ habe Goethe – berichtet Sulpiz Boisserée – als Hintergrundmusik einer Diskussion „über das neue phantastische Wesen, über die alles zersprengende ins Unendliche sich verlierende Sehnsucht und Unruhe in der Musik“ und Bildenden Kunst gehört. Johann Heinrich Friedrich Schlosser, ein Neffe von Goethes Schwager, widmete der mit Goethe befreundeten Marianne von Willemer einen „polyglottischen Versuch“ über dieses Lied. Er meinte zu seinem „poetischen Scherz“, dass „diese Uebersetzungen eines der vollendetsten Lieder des grossen Meisters in ihrer Mannichfaltigkeit auch ihren Ernst haben, und für Sprachvergleichung überhaupt, wie namentlich für die Gegensätze des lyrischen Genius in den verschiedenen Sprachen bedeutungsvolle Winke geben.“

Die Probleme einer kongenialen Zwischenaktmusik versuchte der thüringische Oberkonsistorialrat und Schriftsteller Friedrich Mosengeil zu lösen, indem er den Originaltext Goethes mit dessen Billigung zu „Deklamationsstücken“ verkürzte, mit denen Beethovens Musik oft aufgeführt wurde. Im Druck erschien diese Version 1821. Auf eine Kritik dieser Verse antwortete Mosengeil mit einem Artikel in der Berliner Zeitschrift „Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz“ im Oktober 1826. Die redigierte Druckvorlage belegt, wie sorgfältig hier gearbeitet wurde. In dem Beitrag veröffentlichte er Goethes Lob aus einem Brief: „Ich bin mit Ihnen völlig überzeugt, daß auf diesem Weg ein höchsterfreulicher Genuß bereitet wird. Wenn unsere Theater mit Decorationen und Costumen nach und nach die Stücke belasten und sie fast erdrücken; so wird hier die Einbildungskraft des Hörers aufgeregt und der eigentliche Inhalt zur Empfindung gebracht.“

Einige der zwanzig Vertonungen Beethovens von Goethes Liedern kann man hier ebenfalls genauer studieren. Die meisten dieser Stücke entstanden in den Jahren 1808–1810. Mignons Gesang „Nur wer die Sehnsucht kennt“ aus dem Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ hat Beethoven immerhin viermal vertont, ihre Fassungen werden präsentiert. Beethoven schrieb auf das Autograph seiner Partitur: „Ich hatte nicht Zeit, um ein Gutes hervorzubringen, daher mehrere Versuche“.

Besondere Beachtung verdient das „Flohlied“ aus der Szene „Auerbachs Keller“ in Goethes „Faust“. Für Beethovens Bezug zu Goethes Hauptwerk ist bezeichnend, dass er diese burlesk-satirische Verse zur Vertonung auswählte. Beethovens Biographen haben spekuliert, ob Beethoven nicht doch Pläne zu einer „Faust“-Oper verfolgt habe; Beethovens Adlatus Anton Schindler ging sogar so weit, durch einen gefälschten handschriftlichen Zusatz einen „Faust“ als Plan des Komponisten nahezulegen.

Zu den „besonderen Schätzen des Hauses“, wie Christoph Wingertszahn, der Direktor betont, zählt ein Autograph, das vor nicht allzu langer Zeit erworben werden konnte. Goethes Hymne „Das Göttliche“ ist in ihrem Humanitätsappell heute von besonderer Aktualität. Beethoven hat die Anfangszeilen „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“ als Kanon vertont. Der junge Felix Mendelssohn Bartholdy schrieb den Erstdruck der Vertonung aus einer Zeitschrift ab. Angesichts dieses schriftlichen Zeugnisses in der Vitrine meint man, Kultur-, speziell Musik- und Literatur-Geschichte nahezu fast handgreiflich erleben zu können.

Besonders eindrucksvoll runden die zum Klingen gebrachten Musikbeispiele die Ausstellung ab. Unter Leitung der Lehrer Axel Steurich und Marion Terbuyken haben sechs Schüler des Marie-Curie-Gymnasiums Düsseldorf den Kanon „Das Göttliche“ speziell für das Museum einstudiert und aufgenommen. Sie belegen beeindruckend, wie ergreifend dieser Text und seine Vertonung bis heute geblieben sind: Ina Wietheger, Ronja Hoffmanns, Julia Braun (Sopran), Tabea Cordes und Anna Guthoff (Klarinette) sowie Julian Guthoff (Violoncello). Aufnahmen bekannter Künstler sind in der Ausstellung ebenfalls zu hören.

Mittelbar vermag man Beethoven auch als eine Art Literatur- oder doch wenigstens Goethe-Kritiker zu erleben. Mit dem Zyklus „West-östlicher Divan“ bringt man Beethoven nicht unbedingt in Verbindung. Tatsächlich hat er das Buch genau studiert. Sein Handexemplar liegt mit zahlreichen Anstreichungen in der Vitrine als Leihgabe der Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Aufgeschlagen ist die Seite, auf der Beethoven am deutlichsten Goethes Auffassung von Anmaßung und Bescheidenheit widersprochen hat. Beethoven notierte dazu „nego!“. Dem Berliner Exemplar Beethovens steht die eigene Düsseldorfer Prachtversion der von Johann Heinrich (Kunscht-) Meyer ausgemalten Erstausgabe gegenüber.

Goethes Farbenkreis ist bekannt und ungemein beliebt, als edler Druck, praktische Tasse verschiedener Formate, profaner Einkaufsbeutel oder als schlichter Schlüsselanhänger. Dass der Dichter musikalisch und musikwissenschaftlich interessiert war, wissen nur Wenige, aber das belegt das Schema einer „Tabelle zur Tonlehre“, die als Faksimile an der Wand zu untersuchen ist. Seit 1810 beschäftigte sich Goethe mit Überlegungen zur einer Grundlehre der Musik, analog zu seinem großen Projekt einer „Farbenlehre“.

Goethes Musikauffassung existierte nicht im luftleeren Raum. Seine Anschauungen wurden geprägt durch viele Zeitgenossen. Der Komponisten Johann Nepomuk Hummel wirkte ab 1819 als Hofkapellmeister in Weimar. Er war mit Beethoven befreundet und besuchte ihn noch 1827 kurz vor seinem Tod. Carl Friedrich Zelter, der Direktor der Berliner Singakademie, ist einer der wichtigsten Freunde Goethes gewesen und beeinflusste ihn erheblich; ihm ist ebenso wie Felix Mendelssohn Bartholdy, seinem Schüler, eine Vitrine gewidmet. Als Mendelssohn Bartholdy im November 1830 in Weimar bei seinem letzten Besuch Goethe den 1. Satz von Beethovens 5. Symphonie vorspielte, soll der sich begeistert gezeigt haben: „Das ist grandios! … Das ist sehr groß, ganz toll; man möchte sich fürchten, das Haus fiele ein.“

Die Sonderausstellung in Düsseldorf „Goethe und Beethoven“ ist voraussichtlich noch bis zum 19.06.2022, Sonntag, 17:00 Uhr zu besichtigen, möglicherweise wird sie verlängert.

Aktualisierung vom 21. Juni 2022:
Wegen des regen Interesses bis zum 14. August 2022 verlängert! 



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