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Applaus in Schillers Haus – „Leipzig liest“ in der Gedenkstätte in Gohlis
„Mein Leipzig lob’ ich mir! Es ist ein klein Paris, und bildet seine Leute“ lässt Goethe in „Auerbachs Keller“ des „Faust“ einen der Studenten sagen. Vis-à-vis der Mädler-Passage mit den bronzenen Protagonisten grüßt Goethe von seinem Sockel vor der alten Börse den Naschmarkt, wenige Schritte nur entfernt wohnte er in einem Hofgebäude des Hauses „Große Feuerkugel“. Weit mehr als in Jura-Veranstaltungen zog es ihn zu Vorlesungen von Christian Fürchtegott Gellert oder in die Nähe von Käthchen Schönkopf. Auf der Leipziger Buchmesse 1774 erschien sein „Werther“. Goethe und auch Schiller verband eine enge Beziehung zu Leipzig.
Eine besonders sehenswerte, trotz Restaurierungen recht authentisch erhaltene, kleine Gedenk- und Erinnerungsstätte für Schiller befindet sich in Leipzig-Gohlis. Der bescheidene, fast private Charakter macht den besonderen Charme dieses Museums aus. Im 18. Jahrhundert war das Dorf ein beliebtes Ausflugsziel und gern besuchter Ort zur Sommerfrische. Schiller verbrachte hier 1785 einige Wochen im ausgebauten Dachgeschoss des kleinen Bauernhauses in der Menckestraße 42. Dort entstanden neben anderen Texten Teile seiner Ode „An die Freude“. Salopp verkürzt: Nächstenliebe als in Versen formulierte Utopie „alle Menschen werden Brüder …“, von Beethoven in Töne gesetzt, später zur Hymne der Europäischen Gemeinschaft erhoben – hier wurde diese Idee entworfen. Daran erinnert die neue Dauer-Ausstellung „Götter Funken“ mit Erinnerungsstücken wie einer Weste Schillers, Handschriften und alten Ausgaben. Dem Engagement des später in Wien standrechtlich ermordeten Demokraten, Dichters und Publizisten Robert Blum ist es zu verdanken, dass dieses historische Anwesen seit 1841 als Erinnerungsort erhalten wurde. Stolz weist man in Leipzig darauf hin, es handele sich um die älteste Literaturgedenkstätte Deutschlands.
Bis heute finden dort kulturelle Veranstaltungen statt, auch im Rahmen des Messe-Programms „Leipzig liest“. In diesem Jahr wurde eine Buch-Präsentation begleitet von dem Duo „Side by Saite“ der Gitarristen Matthias Brückner und Anton Hudl. Der Leipziger Dichter Ralph Grüneberger hatte zusammen mit seinen beiden Kollegen Michael Augustin und Manfred Klenk ein „Leipziger Skizzenbuch“ veröffentlicht mit Zeichnungen des Leipziger Planungs-Dezernten Niels Gormsen. Der hatte sich große Verdienste um die Bewahrung der architektonisch wertvollen, leider 1989 recht maroden alten Bausubstanz Leipzigs erworben. Die drei Lyriker illustrierten diese Skizzen mit eigenen Gedichten, demonstrierten ihre spezielle Wahrnehmung dieser herrlichen Stadt, lieferten – wenn man so will – eigene Oden der Freude über deren Wiederherstellung nach Kriegsschäden, langjährigem Verfall und vorsätzlicher Zerstörung. Noch 1968 ließ die SED die gotische Universitätskirche sprengen.
Damals versuchten Leipziger Bürger wie Ralph Grüneberger, dagegen zu protestieren. Vergeblich. Neben Sehenswürdigkeiten wie dem Rathaus und der Nikolai- oder Thomaskirche skizzierte Niels Gormsen auch das Gohliser Schlösschen oder das Schiller-Haus. Wie gefährdet Kultur ist, belegen auch die Braunkohle-Tagebaue im Leipziger Umland. Auf den Skizzen sehen sie fast idyllisch aus. Ralph Grünberger hat ihnen ein Gedicht gewidmet, es endet: „Dörfer sterben, diese Zeit/ Die Erde trägt ein Trauerkleid/ Aus kräftigbrauner Kohle.“ Dass hier in der Tradition Friedrich Schillers und Roberts Blums an eine makabre Gemeinsamkeit beider deutscher Staaten erinnert wurde, die parallel auch die Wiedervereinigung überdauerte, die Braunkohle-Tagebaue in Ost und West, Garzweiler und Hambach in Nordrhein-Westfalen oder eben hier in der Umgebung von Leipzig, ist eine eher bittere Pointe. Der dort entstehende und weitflächig verteilte Feinstaub ist krebserregend. Um an die Braunkohle-Flöze zu gelangen, werden großflächig kulturelle Zeugnisse abgebaggert und zerstört.
Der kleine Saal der Gedenkstätte war bis auf den letzten Platz besetzt. Während der Lesung kam Wind auf, bewegte die Fensterläden und ließ sie scheppernd an die Wand schlagen. Mit etwas Fantasie bot sich der Eindruck an, Schiller hätte von höherer Warte Applaus gespendet. Er und Blum hätten sich über diese kritische Stellungnahme und das engagierte Beispiel für „Gedankenfreiheit“ sicher gefreut.
Niels Gormsen
Leipziger Skizzenbuch. Lyrik von Michael Augustin, Ralph Grüneberger, Manfred Klenk
Mannheim 2023
160 Seiten
ISBN 978-3-86476-161-4
Preis: 25,00 €