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Wer hätte das gedacht? Ein kleiner Ortsverein wird 40
Sucht man in Mecklenburg-Vorpommerns großen Städten Schwerin, Rostock oder Neubrandenburg einen Goethe-Ortsverein, so wird man nicht fündig. Aber hier, im vergleichsweise kleinen Güstrow, existiert seit bereits 40 Jahren ein solcher Verein mit ca. 30 Mitgliedern und vielseitigen Aktivitäten.
1982 bis 1999 standen an seiner Spitze die Gründungsmitglieder Dr. Erwin Neumann und Dr. Dr. Dieter Pocher.
Diese beiden Männer und ihre Mitstreiter überlegten sich gehaltvolle Jahresprogramme mit monatlich stattfindenden Vorträgen, die von hiesigen und auswärtigen Rednern gehalten wurden. Schon damals gab es gute Beziehungen zu anderen Goethe-Ortsvereinen und zur Muttergesellschaft in Weimar. Ebenso entwickelten sich langjährige Kontakte zu etlichen Güstrower Institutionen, wie beispielsweise dem Kulturbund, der Pädagogischen Hochschule, dem Kersting-Klub, der Volkshochschule und der Uwe Johnson-Bibliothek.
Seit Dezember 1999 bilden Frauen die Spitze des Vereins und führen ihn erfolgreich, stabil und kontinuierlich weiter: Dr. Elisabeth Prüß als Vorsitzende, Anneliese Erdtmann als deren Stellvertreterin, Inge Randow als Schatzmeisterin und – bis vor wenigen Jahren – auch Ute Klien. Unsere Leitungsmitglieder arbeiten ehrenamtlich, zuverlässig und gern mit allen Mitgliedern und Gästen zusammen, investieren viel Freizeit und Energie. Finanziert wird unsere Vereinsarbeit durch die Jahresbeiträge und Spenden unserer Mitglieder sowie durch Eintrittsgelder.
In der Vereinstätigkeit ging und geht es natürlich nicht nur um Johann Wolfgang von Goethe und seine Zeitgenossen, obwohl viele Vorträge zu ihm und anderen Vertretern der klassischen deutschen Literatur regelmäßig im Plan standen. Aber es gab auch viele Bezüge zu anderen Schriftstellern und Künstlern, wie z. B. zu Ernst Barlach und Bertolt Brecht, die uns die Wirkung von Goethes Werken auf andere Kunstrichtungen zeigten. Zu besonderen Veranstaltungen konnten wir sachkundige Referenten gewinnen, die unser Wissen beispielsweise zu Theodor Fontane, Joseph von Eichendorff, Friedrich Schiller, Hans Fallada und Heinrich Heine erweiterten.
Ebenso haben wir Autoren, einige sind Mitglied unseres Vereins, gewinnen können, die zur Regionalgeschichte publizierten. So berichtete Prof. Herbert Müller über „Entwurfsgeheimnisse der Kirchenbaumeister“ unserer großen Backsteinkirchen und erfreute uns außerdem mit seinem Beitrag über die „Zahlen der Bibel“. Frau Gisela Scheithauer widmete sich in den „Güstrower Stadtsachen“ der Geschichte der Gertrudenkapelle und des Schlosses, arbeitete außerdem die Beziehung der Güstrower Regentinnen zum Kloster Rühn auf und berichtete über ihre Recherchen zu den Ereignissen um den 2. Mai 1945 in unserer Stadt.
Auch Buchvorstellungen konnten uns die Wirkung von Literatur vermitteln, so die gemeinsame Lesung von Dr. Reinhard Lochner und Manfried Scheithauer zu „fabula“. Wir denken auch an die Veranstaltung mit Joachim Hamster-Damm, Absolvent des John-Brinckman-Gymnasiums und Bühnenbildner am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin, der seinen „Briefwechsel mit Franz Fühmann“ vorstellte, den er schon als Kind begonnen hatte. Seine Mutter, die in Goethekreisen sehr bekannte Sigrid Damm, hat ebenfalls bei uns gelesen. Der Schliemannforscher Dr. Reinhard Witte besuchte uns mehrfach mit Vorträgen, sodass wir sehr gut vorbereitet die Exkursion ins Schliemann-Museum Ankershagen antreten konnten. Innerhalb unserer zahlreichen Kontakte zur Ernst Barlach Stiftung haben wir gemeinsam das Erbe Ernst Barlachs propagiert, waren stets Gäste der Ausstellungseröffnungen und Vorträge am Heidberg. Auf unseren Wunsch hin hielt Dr. Volker Probst seinen Abschiedsvortrag „8917 Tage für und mit Ernst Barlach“ vor großer Runde in der Uwe Johnson-Bibliothek. Auf dem Foto kann man zahlreiche Mitglieder unseres Ortsvereins erkennen.
Besonders wichtig für die Vereinsarbeit sind unsere Mitgliederversammlungen mit einer sich anschließenden gemütlichen und fröhlichen Weihnachtsfeier. Dazu gehörten stets Beiträge der Teilnehmer: Anekdoten, kleine Lesungen, Märchen für Erwachsene und eigene Dichtungen. Ein Beispiel für unsere geselligen Zusammenkünfte ist außerdem der Besuch bei Herrn Höglinger im „Weinhaus im Hof“. Im Rahmen einer Verkostung wird Literatur, natürlich auch von Goethe, zum Wein zu Gehör gebracht. Diese Veranstaltungsreihe wollen wir auf jeden Fall fortsetzen.
Ein wichtiger Teil unserer Vereinsarbeit sind die jährlichen Exkursionen, die Frau Randow gründlich vorbereitet. Zu diesen Ausflügen mit kulturellen Höhepunkten laden wir auch interessierte Güstrower von befreundeten Vereinen ein. Besonders möchten wir an die Fahrt zu Erwin Strittmatters Schulzenhof (2017) und an den Besuch der Gutsanlagen von Kummerow, Basedow und Ulrichshusen sowie der Renaissance-Kirche in Bristow (2019) erinnern.
Für unsere Mitglieder gibt es auch die Möglichkeit einer Fahrt zu den Jahrestagungen der deutschen Goethegesellschaften, die für die Teilnehmer viele interessante Veranstaltungen, Führungen und Konzerte bereithalten. Sie bieten Anregungen für die Arbeit zu Hause, sind für uns gewissermaßen eine ‚Weiterbildung‘. Ortsvereine und Goethe-Institutionen (Berlin und München, die Ortsvereine in Thüringen und die ‚Muttergesellschaft‘ in Weimar, das Goethe-Museum Düsseldorf und das Freie Deutsche Hochstift/ Frankfurter Goethe-Museum) konnten uns auf Goethes Spuren wandern lassen. Andere Ortsvereine – Goethe war schließlich nicht überall – stellten die Besonderheiten ihrer Region und ihr kulturelles Umfeld vor. So bewarben auch wir uns um die Ausrichtung einer Jahrestagung und bekamen den Zuschlag. Unser Güstrower Ortsverein organisierte diese Zusammenkunft im Mai 2004. Es trafen ungefähr 100 Mitglieder auf unsere gastfreundliche Stadt, die interessante Begegnungen, Erlebnisse und Zeit für Gespräche bereit hielt. Im Mittelpunkt standen Goethes Bezüge zu Mecklenburg-Vorpommern, die praktische Arbeit mit seinem Erbe im Deutschunterricht und Güstrow als Kulturstadt.
Ja, wir waren mutig, diese bundesweite Goethe-Tagung nach Güstrow zu holen. Obwohl Goethe nie in Norddeutschland war, hatte er aber weitläufige Beziehungen zum Norden. Erinnert sei u. a. an seinen Einsatz für Georg Friedrich Kersting und die Bekanntschaft mit dem Freiherrn von Kielmannsegge. Dass die Tagung ein voller Erfolg wurde, haben wir der Unterstützung vieler Institutionen und Personen zu danken. So bot Güstrow den Goethefreunden sehr gute Bedingungen für die wissenschaftliche Arbeitstagung im Kreissaal am Wall sowie ein exquisites kulturelles Rahmenprogramm mit einem Konzert in der Gertrudenkapelle, einer Ausstellung im Grafikkabinett der Ernst Barlach Stiftung mit dazugehörendem Katalog,
dem Theaterstück „Der abenteuerliche Simplicissimus“ im Ernst-Barlach-Theater und der Besichtigung von Dom und Pfarrkirche. Besonders beeindruckte bei einer Führung die große Anzahl von klassizistischen Gebäuden in unserer Stadt. Beim Abschiedsessen im Bürgerhaus kredenzte der Koch auch kulinarische Genüsse aus der Goethezeit. Während eines herzlichen Empfanges im Rathaus trugen sich prominente Gäste ins Ehrenbuch der Stadt ein.
Goethe hätte seine Freude gehabt! Eine schöne Erinnerung an unsere Tagung steht am Heidberg. Die Güstrower Baumschulen schenkten uns ein Ginkgobäumchen, das im Garten des Ernst-Barlach-Hauses seinen endgültigen Platz fand.
Im Nachhinein hörten wir bei den nächsten bundesweit stattfindenden Vorstandstagungen die Worte „Immer wieder gern erinnern wir uns an Güstrow!“ und freuten uns stets darüber.
Auch vom damaligen Präsidenten der Goethe-Gesellschaft in Weimar erreichte uns ein Schreiben mit vorangestellten Goethe-Worten:
„Manches Herrliche der Welt
ist in Krieg und Streit zerronnen.
Wer beschützet und erhält,
hat das schönste Los gewonnen.“
Damit bedankte sich Herr Dr. Golz bei unserem gesamten Team für die vorzüglich durchgeführte Jahrestagung der deutschen Goethegesellschaften in unserer Stadt Güstrow.
Zur Erinnerung: Es gibt 52 Goethegesellschaften in Deutschland, und ihre Vorstände treffen sich in regelmäßigen Abständen jeweils in einer anderen Stadt. Abschließend bleibt zu vermerken: Unser aller Einsatz hat sich gelohnt. Mit Enthusiasmus und großem Engagement hatten wir uns in die Vorbereitungen gestürzt und sie erfolgreich abgeschlossen. Dafür sei noch einmal allen Beteiligten gedankt.
Die Monate der Corona-Pandemie haben unsere Vereinsarbeit nicht vollends unterbrochen, auch wenn wir die Vortragsreihe und die Exkursion absetzen mussten. Wir hielten losen Kontakt zu allen Mitgliedern mit Telefonaten, persönlichen Gesprächen und Briefwurfsendungen, die die Leitungsmitglieder ihnen selbst zustellten. Ebenso ehrten wir unsere Jubilare traditionsgemäß mit Glückwunschkarten, Blumenschecks und – wenn möglich – mit persönlichen Besuchen. Ein Höhepunkt in diesem Bereich war das Geschenk für unseren Ehrenvorsitzenden Dr. Erwin Neumann, für den wir ein Buch mit einigen seiner Vortragstexte und Presseartikel (Mecklenburgica) zusammenstellten und drucken ließen. Dabei halfen uns in besonderen Maße Dr. Uwe Heinze und das Ehepaar Scheithauer.
Nun sind wir froh, die Vereinsarbeit in gewohnter Manier wieder aufnehmen, uns in der Gemeinschaft treffen, zuhören und diskutieren oder auch gesellig feiern zu können.
(Bildnachweis: Goetheortsverein)