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Goethe in Bukowiec – eine neue Erinnerungstafel und ein Musical zum Festival dell’Arte: begeistert aufgenommen
Im September 1790 war Johann Wolfgang von Goethe – als Minister damals auch für Bergbau zuständig – mit seinem Herzog Carl August unterwegs in Schlesien, sozusagen auf einer Dienstreise. Nach Tarnowitz, wo Blei und Silber abgebaut wurden und die gleichen Probleme mit dem Grundwasser in den Gruben herrschten wie im thüringischen Ilmenau im Kupferbergbau, sowie nach Wieliczka, dem Salzbergwerk nahe Krakau. Begleitet wurden sie vom Grafen Friedrich Wilhelm von Reden, der selbst ein Fachmann für Bergbautechnik und bereits zum Direktor des Oberbergamtes Breslau aufgestiegen war.
Doch hätten die beiden Weimarer im Hirschberger Tal ausgerechnet in dem winzigen Dorf Buchwald Station gemacht – Schlösser gibt es etliche in der Gegend –, wenn der Graf nicht gerade fünf Jahre zuvor die Herrschaft Buchwald erworben hätte? Vermutlich nicht. Goethe hatte hier Gelegenheit, den herrlichen Landschaftspark zu erkunden und vom Schloss aus erstmals die Schneekoppe zu sehen, die er Tage später auch bestieg.
Heute ist die Sichtachse zum höchsten Berg des Riesengebirges vom Schloss aus zugewachsen. Aber von dem kleinen Hügel im Schlosspark aus, auf dem von Reden 1802 ein Teehäuschen errichten ließ, kann man die Schneekoppe sehr gut sehen, falls sie sich nicht hinter Wolken versteckt. Und genau dort, am Teehaus, ist Johann Wolfgang von Goethe jetzt für immer angekommen. Am 15. August 2022 wurde dort im heutigen Bukowiec eine Gedenktafel zur Erinnerung an den Aufenthalt Goethes eingeweiht. Unter dem Beifall zahlreicher Gäste lösten Jacek Cygan, der in Polen sehr bekannte Liedermacher, Dichter und Librettist, sowie Dieter Hackmann, Vorstandsvorsitzender des Weimarer Dreieck e.V. (eine Organisation zur Förderung der kulturellen Zusammenarbeit zwischen Polen, Frankreich und Deutschland), gemeinsam die Schleife, die das gläserne Relief Goethes zunächst verhüllt hatte. Außer dem Namenszug des Dichters ist auf der Tafel in Deutsch und Polnisch zu lesen: „Ich war hier“. Mit seiner Ehefrau Agata hatte Dieter Hackmann aus Weimar einen Ginkgo-Setzling mitgebracht, den sie am Fuße des Teehäuschens pflanzten und der ebenfalls an Goethes Besuch in Buchwald erinnern soll.
Eingebettet waren diese beiden Ereignisse, die Enthüllung der Tafel und die Baumpflanzung, in das Festival dell’Arte, das im August zum wiederholten Male in Bukowiec stattfand. Dazu gehörten in diesem Jahr beispielsweise Konzerte der bekannten polnischen Sänger Stanislaw Soyka und Anita Lipnicka mit ihren Ensembles in der Künstlerscheune der Ornamental Farm Bukowiec. Diese befindet sich in den ehemaligen Wirtschaftsräumen des zum Schloss gehörigen Gutshofes inmitten eines wundervollen Landschaftsparks. Die Gebäude werden seit 1999 nach und nach restauriert. Beeindruckend waren auch die Fotoausstellung mit großformatigen Porträts, aufgenommen von Kazimierz Pichalak in aller Welt, sowie verschiedene Glasskulpturen von Konrad und Tomasz Urbanowicz.
Höhepunkt des 2022er Festival dell’Arte war jedoch die Vorpremiere des Musicals „Goethe. Doppelprofil“. Die Aufführung dieses beeindruckenden Werkes, zu dem Jacek Cygan die Texte unter Verwendung von Goethezitaten geschrieben, Pjotr Rubik die Musik und Jacek Subociatlo das Arrangement besorgt hatten, fand im Theater des nahegelegenen Jelenia Gora (früher Hirschberg) statt unter Mitwirkung des Orchesters der Niederschlesischen Philharmonie Jelenia Gora. Überschrieben sind die Abschnitte des Musicals mit „Meine Jugend“, „Liebesbriefe“, „Ich besuche Reden in Bukowiec“.
Goethe – eins und doppelt. Wie ein Ginkgo-Blatt. Eine gekonnt umgesetzte Idee. Da brachte der Schauspieler Andrzej Seweryn als alter Goethe gesetzt und nachdenklich Lebensweisheit zum Vortrag: gedankenversunken und mit teils kräftiger, teils fast gebrochener Stimme. Das ganze Gegenteil der junge Sänger und Schauspieler Marcin Januszkiewicz, der die Wildheit, den Lebens- und Liebeshunger des jugendlichen Goethe ebenso überzeugend darstellte wie sein Gegenpart Goethes Altersweisheit. In ergreifenden Solodarbietungen oder Duetten mit Januszkiewicz ließen Alicja Wojnowska als Margarete und als Mignon, Anna Jurksztowicz als Charlotte von Stein und Marta Moszczynska als Christiane Vulpius Goethes Leben und seine Liebesbeziehungen lebendig werden. Selbst wer die polnische Sprache nicht oder nur wenig verstand, wurde mit diesem Musical mitgenommen in Goethes Gefühlswelt.
Gerade der ständige Wechsel von bedächtiger Altersweisheit und jugendlichem Ungestüm und Frische, verbunden mit modernen Melodien, zuweilen auch instrumental mit Violinsoli, machen den Reiz dieses Stückes aus. Am Ende ernteten die Darsteller wie auch die Autoren tosenden Beifall.
Auf solch unkonventionelle Weise können gewiss auch wieder mehr junge Zuschauer und Zuhörer für Goethe begeistert werden. Nicht nur in Polen, sondern hoffentlich auch in Deutschland. Die deutschen Texte für das Musical hat Goethe ja schon selbst geliefert im „Werther“, im „Faust“, in seinen Briefen und Gedichten. Sie müssen nur noch mit der Musik in Einklang gebracht werden. Marcin Januszkiewicz, der als Kind in Deutschland gelebt hat und auch die deutsche Sprache recht gut beherrscht, hat sich jedenfalls in einem Gespräch während der Premierenfeier schon einmal bereit erklärt, auch in Goethes Weimar oder anderen Thüringer Orten aufzutreten, egal, ob in deutscher oder polnischer Sprache. Vielleicht – ja, besser noch: hoffentlich! eröffnen sich über die Goethegesellschaft und über das Weimarer Dreieck demnächst Möglichkeiten.
Angelika Kemter engagiert sich in den Ortsvereinigungen in Gera und Erfurt.