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Neue Einblicke dank alter Holzschnitte – Goethes Wohnhaus und Weimar gesehen von Margarethe Geibel

von Andreas Rumler

Casimir Geibel war bereits ein anerkannter und erfolgreicher Porträt- und Landschaftsmaler, als seine Tochter Margarethe am 5. Juni 1876 in Weimar in der Seifengasse geboren wurde – nahe dem Goethe-Haus. Weil sie in Künstlerkreisen aufwuchs, entschloss sie sich früh, selbst als Malerin tätig zu werden. Das war allerdings nicht so einfach. Zwar förderte der Vater sie, gab ihr selbst Unterricht und finanzierte den Besuch einer privaten Kunstschule. Allein, zu öffentlichen Kunst-Akademien hatten Frauen damals noch keinen Zutritt. Als ‚Malweiber‘ wurden Künstlerinnen denunziert und angepöbelt, es galt die preußische Moral der Kaiserzeit. 

Nach dem Tod ihres Vaters begann sie mit 20 Jahren ihre Karriere zu entwickeln und beschloss, selbst ihre Ausbildung zu organisieren. So ließ sie sich von dem Maler und Grafiker Otto Rasch privat weiter unterrichten; er wurde an der Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule Weimar zum Professor berufen und unterrichtete ab 1919 am Bauhaus. Auch Arthur Schmidt, ein Mitarbeiter Henry van de Veldes, beeinflusste ihre künstlerische Entwicklung. Von 1900 bis 1902 studierte sie an der privaten Kunstschule von Professor Leopold Graf von Kalckreuth in Stuttgart. Bei ihren unterschiedlichen Lehrern gewann sie Einblick in alle Techniken der Malerei. 

Seit 1902 bildete der Farbholzschnitt ihre bevorzugte Ausdrucksweise, zunächst mit einer Druckplatte, später handhabte sie das Verfahren immer virtuoser, durch die Kombination verschiedenfarbiger Druckstöcke und des Zeichnungsstocks Effekte zu erzielen, die Aquarellen oder anderen Malwerken an Intensität und Wirkung nicht nachstehen. Am Beispiel des Treppenhauses im Haus am Frauenplan fasziniert zu beobachten, wie Margarethe Geibel in verschiedenen Bildern mit unterschiedlichen Blickwinkeln die jeweiligen Perspektiven und Lichteffekte spielerisch zu variieren versteht, etwa wenn sie Sonnenreflexe durch die Fenster auf den Stufen aufleuchten lässt. Die Wirkung erzielt sie mit dem denkbar einfachsten Mittel: An diesen hellen Flecken bleibt die warme, hellen Farbe der Japan-Bütten unbedruckt. 

Vor allem in den Jahren 1908 bis 1911 entstand eine Serie großformatiger, farbiger Innenansichten von Goethes Wohnhaus am Frauenplan. Detailliert und sensibel gibt sie dabei den besonderen Charakter der einzelnen Räume wieder, besonders natürlich ihren farblichen Eindruck. Nicht an photographisch genauer Nachbildung ist ihr offensichtlich gelegen, sondern an einem in sich stimmigen Panorama, das sich in perspektivischen Tiefen fortsetzen kann. Als bildende Künstlerin erlaubte sie sich ‚dichterische Freiheiten‘.  

Wie sie dabei Farben und Akzente setzt, lässt sich besonders gut am Beispiel des zentralen gelben Saals erläutern: „Die Farbigkeit des Blattes „Gelber Saal“ von 1909 ist besonders geeignet zu zeigen, wie die Künstlerin es vermochte, an sich unvereinbare, leuchtende Töne zu einem harmonischen Ganzen zu verbinden. Sie verwandte Farben, wie das helle Blau, in ganz geringer Menge oder setzte, wie im Fall des grünlichen Gelbs, eine stumpfe Mischfarbe dagegen, die den Gesamtton sehr ausgeglichen erscheinen lässt. An dieser Stelle sei auch betont, daß die Künstlerin sich selbstverständlich an die Gegebenheiten in Goethes Wohnhaus halten wollte. Der dunkelbraune Holzfußboden wurde von ihr jedoch beispielsweise in jenen, eben beschriebenen braun-grauen Ton verwandelt, sozusagen auf künstlerische Art ‚interpretiert‘, um die farbliche Harmonie des kleinen Formates zu. wahren.“ (S. 3)  

Anhand der Holzschnitte lässt sich das Haus erwandern, was Goethes Verständnis ja durchaus nahekommt, taucht doch das Motiv des „Wanderers“ in seinem Werk in zahlreichen Variationen auf. Ungewöhnliche Motive waren es, wie man sie heute und auch auf alten Postkarten und Fotos in Büchern kaum findet, die Margarethe Geibel besonders interessierten, etwa der Blick aus dem Brückenzimmer über die Holztreppe in den Garten. Oder durch das kleine Treppenhaus mit der Wendeltreppe in das Urbinozimmer. Apropos: Auch in diesem Raum nimmt sie auf einem anderen Blatt eine schon rein aus museumstypisch konservatorischen Gründen Besuchern nicht erlaubte Position ein. Man meint, auf einem Sessel oder Sofa sitzend – die geflügelte Nike auf Augenhöhe vor sich auf dem runden Tisch – den Bereich zu betrachten: Vorbei an Junos Kopf durch die Enfilade in Richtung des Großen Sammlungszimmers mit dem Bildnis Carl Augusts, hoch über dem eigenen Kopf prangt, bei geöffnetem Vorhang, Goethes Kopie der Aldobrandinischen Hochzeit. Absolut unüblich auf den Postkarten-Ständern in Weimar ist auch der Blick aus dem Arbeitszimmer über Tisch und Papierkorb in den Vorraum und auf Goethes Sessel im Schlafzimmer. Mit diesen Holzschnitten lässt sich das bekannte Haus neu erleben. Zum Vergleich bietet sich der heutige Anblick der Klassik-Stiftung an: www.klassik-stiftung.de/goethe-nationalmuseum/goethes-wohnhaus

Unbekannte Einblicke bieten auch ihre Drucke der Zimmer in der Mansarde oder die Sicht auf den Garten über die Mauer von der Ackerwand aus. 

Doch nicht nur Goethes Wohnhaus galt ihr Interesse. Auch Weimar, seine Parks, Schillers Haus an der früheren Esplanade, das Herder-Haus und die Stadtkirche, das Wittumspalais und Schloss Belvedere kann man mit ihren Blättern erkunden. Immer wieder fällt auf, wie raffiniert Margarethe Geibel mit Lichtflecken und Schattierungen spielt. Dadurch gewinnen im Wittumspalais einzelne Räume wie das Musikzimmer einen ganz privaten Charakter – den es zu Zeiten Anna Amalias hatte. Durchblicke in andere Räume erlauben ihr, den Bildern Tiefe zu geben, gestaffelt wie Theaterkulissen. Den Dornburger Schlössern hat sie einen eigenen Zyklus gewidmet. Bauern, die sie bei ihrer harten Arbeit auf den Äckern beobachtet, erinnern an Motive Vincent van Goghs. Ihre norddeutschen Landschaften lassen in ihrer Weite an Worpsweder Künstler denken. 

Entstanden ist dieser Bildband als Katalog der Galerie und des Kunstantiquariats Joseph Fach und soll deren Angebote bekannt machen. Lesen lässt er sich dank der ausführlichen Einleitung, einer chronologischen Biografie und Dokumentation ihrer Werkstattbücher als Monografie einer sehr begabten und leider viel zu wenig bekannten Künstlerin. Sie starb verarmt und wohl auch weitgehend vergessen 1955 in Weimar. Mühsam nur konnte sie auf dem von männlichen Kollegen beherrschten Kunstmarkt Fuß fassen. Von einem ‚normalen‘ Studium als Frau ausgeschlossen, bewies sie Talent und Mut, ihren Weg als Künstlerin zu beschreiten. Dieser sorgfältig und gediegen gestaltete Katalog bietet die Gelegenheit, eine außergewöhnliche Frau kennenzulernen und ihr posthum Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Zugleich dokumentiert er den Zustand unter anderem des Hauses am Frauenplan vor gut 100 Jahren.

Margarethe Geibel 1876 – Weimar – 1955.
Farbholzschnitte.

Katalog 110. Oberursel/Ts. 2021, 180 S. 

Preis: 42,00 €

Sie können den Katalog im Netz betrachten:
www.galerie-fach.de

oder per Mail bestellen:

Martin Fach
Galerie und Kunstantiquariat
Joseph Fach GmbH
Feinbergweg 7
61440 Oberursel/ Ts.

newsletter@galerie-fach.de

Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter der Goethe-Gesellschaft, Ausgabe 3/2021.


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