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Möser, Götz und Goethe – eine Graphic Novel über den Autor der „Patriotischen Phantasien“
Goethes Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“ endet damit, dass er die geplante Reise nach Italien abbricht, um die von Karl August gesandte Kutsche nach Weimar zu besteigen. Bewogen zu dieser, sein weiteres Leben prägenden Entscheidung, hatten ihn Gespräche mit Karl August in Frankfurt. Bei ihrer ersten Begegnung lagen „Mösers ‚Patriotische Phantasien‘ und zwar der erste Teil, frisch geheftet und unaufgeschnitten, auf dem Tische“ liest man in Goethes Bericht und weiter: „Da ich sie nun sehr gut, die Gesellschaft sie aber wenig kannte so hatte ich den Vorteil, davon eine ausführliche Relation liefern zu können; und hier fand sich der schicklichste Anlaß zu einem Gespräch mit einem jungen Fürsten, der den besten Willen und den festen Vorsatz hatte, an seiner Stelle entschieden Gutes zu wirken.“
Offenbar beflügelten Justus Mösers damals neue und wegweisende Ideen zur Politik und Geschichte den Beginn der lebenslangen Freundschaft und Arbeitsgemeinschaft von Goethe und seinem Herzog. Auch an anderen Stellen in Goethes Werk werden Einflüsse Mösers deutlich, im „Götz“ lassen sich Mösers Überlegungen aus dem Aufsatz „Von dem Faustrechte“ nachweisen. Respektvoll äußerte Goethe sich stets über den Osnabrücker Staatsmann, Schriftsteller und Historiker. Heute ist Möser weitgehend unbekannt. Dabei hatte er mit seinen Publikationen und Positionen im Geist der Aufklärung wichtige Beiträge zur Entwicklung einer modernen bürgerlichen Demokratie geleistet.
Daran erinnern Gaby von Borstel, Peter Eickmeyer und Thorsten Heese in Form einer Graphic Novel mit dem Titel „Möser“. Auf 65 Seiten blättern sie – etwas größer als im Din-A-4-Format – sein Leben und seine Verdienste auf, liefern einen QR-Code mit, der einen Stadtrundgang auf den Spuren des „Patriarchen von Osnabrück“ (Goethe) ermöglicht, dort hatte man ihn wegen seiner Verdienste zum „Advocatus patriae“ (zu einem öffentlich bestellten Anwalt des Staats in Rechtsstreitigkeiten) ernannt.
Herder machte Goethe in Straßburg auf Möser aufmerksam und hielt ihn für den „Verfasser der ersten Deutschen Geschichte.“ (S. 45) In seiner Replik auf Friedrichs II. „De la littérature allemande“ verteidigte Möser unter anderem Goethes „Götz“ ausdrücklich, Friedrich hatte behauptet, Dramen wie dieses seien eine „abscheuliche Nachahmung jener schlechten englischen Stücke“ – gemeint war: von Shakespeare (S. 45).
Übersichtlich gegliedert in 10 chronologische Kapitel zur Biografie und gerahmt von einem Prolog und einem Epilog entfalten die Autoren ein weitgespanntes Panorama geistesgeschichtlicher und politischer wie auch wirtschaftlicher Bezüge. So in „Möser und die französische Aufklärung 1748-1764“ („Dritter Theil“, S. 16–19). Sein Eintreten für liberalere Verhältnisse im feudalen Absolutismus beschreibt ein „Sechster Theil: Mösers Patriotische Phantasien – Fortschritt durch Aufklärung 1766–1786“ (S. 34–37). Im Titel „Phantasien“ schwingt durchaus ein Hauch von Utopie mit. Detaillierte Chronologien zu Mösers Biografie und zur Aufklärung (S. 62–63) runden den Band ab.
Natürlich sind Darstellungen wie diese Graphic Novel bei allem Charme ihrer mehrfarbigen, meist in Pastell-Tönen gehaltenen Zeichnungen im Rahmen des verfügbaren Textvolumens holzschnittartig verkürzt. Solche Überblicke können eine wissenschaftliche Darstellung nicht ersetzen. Doch sie geben erste Anregungen, die sich vertiefen lassen. Die Autoren verzichten auf Sprechblasen und zitieren ausführlich jene Texte, die ihnen zum Verständnis der Personen und Epoche relevant erscheinen, zahlreiche Worterläuterungen erleichtern die Lektüre. Offenbar hatten sie als Zielgruppe Abiturienten und Studierende im Blick.
Am Beispiel ihres Protagonisten aus der Provinz belegen sie auch, dass Menschen wie Möser mit seinen Kontakten und seiner Orientierung in der damals bekannten Welt, in London und dem vorrevolutionären Frankreich, in den deutschen Kleinstaaten zur Überwindung der Adelsgesellschaft beitragen konnten. Sie geben hilfreiche Einblicke in ein wesentliches Kapitel unserer Literatur- und Demokratie-Geschichte, zu denen eben Werk und Wirken von Menschen wie Goethe und Möser wichtige Beiträge geliefert haben.
Gaby von Borstel, Peter Eickmeyer, Thorsten Heese
Möser
Bielefeld 2020
64 Seiten
ISBN 978-3-96219-405-5
Preis: 17,00 €