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Karl Heinz Martini: Goethe und die Egloffsteins in Weimar – Fränkische Adlige im klassischen Weimar

von Jochen Golz

Nur wirklich ausgepichte Goethe-Kenner werden mit dem Adelsgeschlecht der Egloffsteins etwas anzufangen wissen. Wer sich in das Personenverzeichnis von Goethes 1818 entstandenem Maskenzug vertieft, den er zu Ehren von Maria Fjodorowna, der in Weimar zu Besuch weilenden Mutter Maria Pawlownas, schrieb und inszenierte und der so etwas wie eine gereimte Kulturgeschichte des klassischen Weimar darstellt, wird mehreren Damen aus dem Hause Egloffstein begegnen. Dass der Interessierte jetzt Genaueres über die Egloffsteins in Weimar erfahren kann, ist Karl Heinz Martini zu verdanken, der sein 2012 in Selbstverlag erschienenes Buch überarbeitet und in diesem Jahr neu vorgelegt hat.

1787 heiratete Caroline Freiin von Aufseß zu Heckenhof den fränkischen Adligen Gottlob von Egloffstein, der im Jahr darauf mit seiner Frau nach Weimar zog, weil er als Hofmarschall in den Dienst des Herzogs Carl August getreten war. Die Ehe blieb kinderlos. Caroline – nach allem, was wir wissen, humorvoll, herzensgut und redselig – führte an der Weimarer Esplanade ein gastfreies Haus und bot insbesondere den Töchtern Caroline, Jeannette, Julie und Auguste ihrer bildschönen Schwägerin Henriette, die ihren Vetter Leopold Graf von Egloffstein geheiratet hatte, so etwas wie einen Zufluchtsort, den vor allem die Nichten Julie und Caroline gern und oft in Anspruch nahmen. Henriettes Ehe wurde 1803 geschieden, im Jahr darauf ging sie eine neue Verbindung mit dem Freiherrn Carl von Beaulieu-Marconnay ein, der als Forstmann in den Diensten des Königs von Hannover stand. Als Dank für seine militärische Leistung in den Befreiungskriegen wies ihm der König das ehemalige Klostergut Marienrode bei Hildesheim zum Nießbrauch zu; in Marienrode sind Henriette und ihre Töchter Julie, Caroline und Auguste auch bestattet.

Doch damit sind wir den Ereignissen vorausgeeilt. Caroline von Egloffstein spielte als Oberkammerherrin am Weimarer Hof eine nicht unwichtige Rolle. Verglichen mit ihren Nichten Julie und Caroline war es aber nur eine Nebenrolle. Caroline wurde Hofdame bei Maria Pawlowna und hat diese auf mehreren langen Reisen nach Russland begleiten müssen. Voraussetzung für die Berufung zur Hofdame war eine lupenreine adelige Herkunft; selbstverständlich durfte die junge Dame auch nicht verheiratet sein. Im Prinzip bot eine solche Situation gute Voraussetzungen für die Ehe mit einem Adligen von Stand; Charlotte von Stein kann als Beispiel genannt werden. Waren es nun die häufigen Reisen, war es die ‚klammernde‘ Mutter, waren es enttäuschende Liebesbegegnungen, Caroline blieb unverheiratet und zog sich, 1831 aus dem Hofdienst entlassen, nach Marienrode zurück. Ein ähnliches Schicksal hatte ihre Schwester Julie, eine begabte Malerin und Zeichnerin, die Goethes besonderes Wohlwollen genoss und sich insbesondere als Porträtmalerin einen ausgezeichneten Ruf erwarb; Porträts von Carl August, von dessen Gattin Louise, von Goethe oder vom bayrischen König zählen zu ihren herausragenden Arbeiten. 1824 wurde auch sie als Hofdame berufen – von Maria Pawlownas Schwiegermutter Louise, der heute noch der Ruf einer seelisch vornehmen, jedoch auf Abstand haltenden Persönlichkeit anhaftet. Nur wenige Jahre hielt es die temperamentvolle Julie, der das Hofleben widerstrebte, bei der Großherzogin aus, dann wählte sie die Lebensform einer freien Künstlerin, unternahm 1829 – 1832 Reisen nach Italien, kopierte in Galerien (z.B. in Dresden) und wählte schließlich auch Marienrode als dauernden Aufenthaltsort. Nicht zuletzt dem dominierende Einfluss der Mutter ist zuzuschreiben, dass Julie keine Ehe einging; nur einem vornehmen (und möglichst auch vermögenden) Verehrer hätte Henriette, die 91 Jahre alt werden sollte, ihr Plazet gegeben.

Wie kam nun Goethe ins Spiel? Seitdem das Ehepaar Egloffstein in Weimar lebte, gab es Kontakte des Dichters zu beiden, die sich aber im dienstlichen oder im konventionellen geselligen Rahmen bewegten; 1815 starb der Hofmarschall Egloffstein, seine Witwe zog in die Windischenstraße um. Zu engeren persönlichen Kontakten der Damen Egloffstein zu Goethe kam es erst seit 1816, als die Nichten Julie und Caroline sich mit Ottilie von Pogwisch befreundeten und nach deren Heirat mit Goethes Sohn August auch zum Vater in engere Beziehung traten. Die Mitwirkung im Maskenzug von 1818 stellte gewissermaßen den festlichen Auftakt dar. Gemeinsam mit Adele Schopenhauer bildeten Ottilie, Julie und Caroline einen Goethe umgebenden Damenflor, an dem sich des Dichters Herz erfreute, wozu nicht zum Geringsten Julies und Carolines reizvolles Äußere beitrug. Mit Interesse wird Goethe Caroline zugehört haben, wenn sie aus Russland berichtete, und Julies künstlerische Entwicklung hat er gefördert, sie selbst auch oft als Kunstsachverständige herangezogen. Als die Oberkammerherrin Caroline von Egloffstein 1828 starb – wenige Wochen nach Carl August -, hatte Weimar für die Nichten seinen Wert als Zufluchtsort verloren; während Caroline als Hofdame im sogenannten Hofdamenhaus gewohnt hatte, war Julie seit 1816, sofern nicht auf Reisen, in der Wohnung ihrer Tante untergekommen.

Was hier in wenigen Zeilen nur summarisch dargestellt werden kann, führt uns Martini, streng chronologisch vorgehend, in Gestalt einer anschaulichen Familienchronik vor Augen. Vom kulturgeschichtlichen Reichtum des Buches kann ich nur einen sehr knappen Eindruck vermitteln. Von Haus aus ist Martini, jahrzehntelang im höheren Schuldienst tätig gewesen, Naturwissenschaftler; das merkt man seinem Buch an. In Tabellen und Chroniken, die zuweilen den Lesefluss hemmen, breitet er sein großes historisches und genealogisches Wissen aus, reichert seine Darstellung auch mit soliden Exkursen zur Zeitgeschichte an. Insbesondere die Goethe-Kapitel haben den Charakter von genau, aber sparsam kommentierten Zitatsammlungen aus Tagebuchaufzeichnungen, Briefen und Gesprächen. Zuweilen, so der Wunsch, hätte an die Stelle chronikalischer Präsenz die Erzählung historischer Zusammenhänge treten können. Dass er auch dieses Genre beherrscht, gibt Martini an mehr als einer Stelle zu erkennen. Es spricht für seine Exaktheit, dass er auch Goethes Biographie in die Darstellung einbezieht und es sogar auf sich nimmt, die törichten Thesen von Ghibellino kommentierend zu widerlegen. Hervorzuheben ist der gut reproduzierte Bildteil, der dem Band zusätzlichen Wert verleiht. Man kann es als sympathische Referenz an seine fränkische Heimat ansehen, dass Martini die Geschichte des ehemaligen Schlösschens derer von Aufseß zu Heckenhof in Bild und Text bis in die Gegenwart verfolgt.Ein weithin unbekanntes Kapitel Weimarer Kulturgeschichte hat Martini seinen Lesern vorbildlich erschlossen. Wer, Martinis Buch im Gepäck, einen Ausflug nach Hildesheim auch zu einem Abstecher nach Marienrode nutzt, wird die Gräber der Egloffsteins künftig mit anderen Augen betrachten.

Karl Heinz Martini
Goethe und die Egloffsteins in Weimar
Fränkische Adlige im klassischen Weimar

Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2020
392 S.
ISBN: 978-3-8260-7018-1   

Preis: 44,80 €

Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter der Goethe-Gesellschaft, Ausgabe 2/2020.


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