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Hilmar Dreßler: Freuds Gedanken über Macht, Gewalt und Krieg als Zeugnis ihrer Aktualität (Mit Blick auf Goethe am Schluss des Büchleins)

von Hans-Joachim Kertscher

Der Leipziger Musikpädagoge und Goethekenner Hilmar Dreßler hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eindringlich mit Goethes naturwissenschaftlichem Denken befasst. Insbesondere waren es Studien zur Farbenlehre, zur Optik, zur Analogie in Kunst und Wissenschaft, die er im Ergebnis seiner Forschungsarbeiten vorgelegt hat.

Nur scheinbar aus dem Rahmen des bislang Publizierten fallen seine Studien zu Sigmund Freud. Dreßler berührt ein höchst aktuelles Thema: In einem Brief vom 30. Juli 1932 an den Psychoanalytiker wollte Albert Einstein wissen: „Gibt es eine Möglichkeit, die psychische Entwicklung der Menschen so zu leiten, dass sie den Psychosen des Hasses und des Vernichtens gegenüber widerstandsfähiger werden?“ Freud, so betont Dreßler, hatte sich dazu bereits an mehreren Stellen geäußert und dabei „Kränkungen“ (S. 8) festgestellt, denen sich die Menschheit in ihrer Geschichte, namentlich seit den Entdeckungen Kopernikus᾽ und Galileis, ausgesetzt sah. Zum einen sei es die gekränkte Eigenliebe gewesen, d.h. das Bewusstwerden, nicht im Mittelpunkt des Kosmos zu stehen, zum anderen jene Kränkung, die  durch die Evolutionstheorie Darwins, der zufolge der Mensch aus früheren, primitiven Vorfahren hervorgegangen ist, verursacht wurde. Als dritte, und wohl problematischste Kränkung nannte Freud jene, die den Nachweis erbrachte, dass der Mensch nicht selbstbewusst entscheiden könne, sondern von unbewussten Vorgängen getrieben handele.

Zu jenen Trieben, so Freud in seiner wenige Tage später verfassten Antwort an Einstein, gehörten der „Aggressions- oder Destruktionstrieb“ ebenso wie die „erotischen Triebe“, die „die Bestrebungen zum Leben repräsentieren […]. Der ideale Zustand“, so Freud, „wäre natürlich eine Gemeinschaft von Menschen, die ihr Triebleben der Diktatur der Vernunft unterworfen haben. […] Aber das ist höchstwahrscheinlich eine utopische Hoffnung.“  Als Pazifist verweist Freud auf den „Prozeß der Kulturentwicklung“. Der könne auch zum „Erlöschen der Menschenart“ führen. Dennoch ist er der Auffassung: „Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg.“Angesichts der besorgniserregenden gegenwärtigen politischen Situation fragt Dreßler nach der „Aktualität der Freudschen Darlegungen“ (S. 20). In diesem Zusammenhang wagt er einen Brückenschlag zu Goethe, der bereits vor Freud dessen Plädoyer für die „Einheit von Natur und Geist“(20) als unabdingbar begriffen habe. „Natur und Geist sind bei Goethe wie kaum bei einem anderen Großen eine innige Verbindung eingegangen und können für den von Freud geforderten Kulturprozess ein Vorbild sein.“ (S. 26) Die häufig zitierte Sentenz „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ sollte, so Dreßlers Fazit, besser durch Goethes „Wir heißen euch hoffen“ ersetzt werden.

Hilmar Dreßler
Freuds Gedanken über Macht, Gewalt und Krieg als Zeugnis ihrer Aktualität
(Mit Blick auf Goethe am Schluss des Büchleins)

Hohenwarsleben (book-on-demand) 2019
Kartoniert, 32 S.
ISBN: 978-3-96004-037-8

Preis: 12,50 €

Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter der Goethe-Gesellschaft, Ausgabe 2/2020.


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