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Goethe und Klopstock – Axel Kahrs Monografie einer Beziehung

von Andreas Rumler

Wunderlich sind mitunter die Wege literarischer Überlieferung, Bücher und Autoren haben ihre Schicksale. Vor 300 Jahren geboren, war Friedrich Gottlieb Klopstock zur Zeit des jungen Goethe einer der erfolgreichsten Autoren. Heute weitgehend in Vergessenheit geraten, ist sein Name vielen Lesern vor allem noch wegen einer zentralen Schlüssel-Szene bekannt, in der Goethe ihn im „Werther“ ohne jeden weiteren direkten Kommentar nennt. Axel Kahrs nahm jetzt diese knappe Episode zum Ausgangspunkt in seiner kleinen Monografie „Klopstock? – Natürlich!“, um das besondere Verhältnis der beiden Dichter genauer zu beleuchten.

Während eines heftigen Gewitters, so berichtet es Goethes tragischer Held später seinem Vertrauten Wilhelm, sei es zu dieser Begegnung gekommen: „Wir traten an‘s Fenster, es donnerte abseitwärts und der herrliche Regen säuselte auf das Land, und der erquikkendste Wohlgeruch stieg in aller Fülle einer warmen Luft zu uns auf. Sie stand auf ihrem Ellenbogen gestüzt und ihr Blik durchdrang die Gegend, sie sah gen Himmel und auf mich, ich sah ihr Auge thränenvoll, sie legte ihre Hand auf die meinige und sagte – Klopstock! Ich versank in dem Strome von Empfindungen, den sie in dieser Loosung über mich ausgoß. Ich ertrugs nicht, neigte mich auf ihre Hand und küßte sie unter den wonnevollesten Thränen“ (S. 12).

Vom Hausgott

So liest man die Szene in der Erstausgabe, Goethe hat sie später modifiziert. Doch genau hier lässt sich exemplarisch zeigen, gerade an Hand späterer Überarbeitung, wie genau Goethe die Wirkung seines Textes auf den aktuellen Leser-Kreis kalkulierte. Offenbar reichte 1774 die bloße Erwähnung des Namens, hervorgehoben als Ausruf, um eine Welt von Empfindungen zu assoziieren. Was heute kaum einen Leser mehr ernsthaft aufregen dürfte, rührte damals zu Tränen und löste im Kontext des gesamten Romans das „Werther-Fieber“ aus. In seinen Text hat Goethe Anspielungen auf Oden montiert, ohne die konkret zu benennen – offenbar war in gebildeten Kreisen derlei damals nicht nötig, um verstanden zu werden. Herders Urteil über Klopstock dürfte repräsentativ gewesen sein, der lobte dessen Oden und Gesänge als „heilig, feyerlich und stille zusammengewebt!“ (S. 15) Indem er auf die Kenntnisse seiner Leser baute, habe Goethe sich „unter den Schirm seines älteren Kollegen Klopstock“ gestellt, resümiert Kahrs (S. 17). Interessant daran ist, dass Goethe dieses Schutzes bereits in späteren Auflagen nicht mehr bedurfte, ihm entwachsen war.

Allerdings kühlte sich beider zunächst freundschaftliches Verhältnis später auch aus anderen Gründen ab, immerhin hatte der Dichter des „Messias“ den Jüngeren noch in Frankfurt besucht. Doch nachdem Klopstock versuchte, Goethe und seinem Herzog zur Mäßigung zu raten, denn deren Gelage und Eskapaden in Weimar mit der Hofgesellschaft sorgten in der literarischen Welt nicht nur für Anerkennung, wehrte Goethe ab. Kahrs schreibt: Seine „Antwort aus dem Sturm und Drang der frühen Jahre ist kurz und klar: ‚Verschonen Sie uns ins Künftige mit solchen Briefen, lieber Klopstock! Sie helfen nichts, und machen uns immer ein paar böse Stunden.‘ Die Reaktion vom Mai 1776 aus Hamburg ist ebenso scharf: Zum ersten Brief, den Klopstock an Goethe geschrieben hatte, ‚erklär ich Ihnen hierdurch, daß Sie nicht wert sind, daß ich ihn gegeben habe.‘“ (S. 19)

zum Außenseiter

Bitter für Klopstock macht die Sache, dass sein Stern zu sinken begann und aus der Familie seiner Gönner im Haus Bernstorff sich ein wichtiges Mitglied dem Weimar Kreis zuwendet, künftig am Frauenplan wohnt: Gräfin Charitas von Bernstorff fühlt sich offenbar vom dortigen Musenhof angezogen. „Der Bruch aber ist endgültig,“ schreibt Kahrs, „spätere Vermittlungsversuche scheitern an Klopstock, der allerdings bald schmerzlich erfahren muss, wie sehr sich die literarische Szene gewandelt hat“ (S. 19). Detailliert belegt Kahrs, was Goethe in der späteren Ausgabe modifizierte. Klopstock wird dort zwar noch erwähnt, aber nicht mehr wie ein literarischer Hausgott, als der er einst angerufen wurde. Goethe wird ihn auch weiterhin schätzen, in „Dichtung und Wahrheit“ anerkennend erwähnen. Der Schirm hatte seine Schuldigkeit getan, Goethe bewahrte und zeigte allerdings Klopstock weiterhin seinen Respekt.

Aber deshalb ganz auf Klopstocks Lektüre zu verzichten, nur weil sein bekanntestes und umfangreichstes Werk, der „Messias“ in späteren Zeiten nur schwer zu genießen ist, hält Kahrs für voreilig. Deshalb wendet er sich in der zweiten Hälfte des Bandes Klopstocks Naturlyrik zu. Der Dichter gewann noch zu Lebzeiten so etwas wie den Charakter einer „grauen Eminenz“: Man respektiert sie, am liebsten freilich aus der Distanz. Gotthold Ephraim Lessing urteilte 1771: „Wer wird nicht einen Klopstock loben?/ Doch wird ihn jeder lesen? – Nein./ Wir wollen weniger erhoben, /Und fleißiger gelesen sein“ (S. 36). Seine spezielle „christlich und zugleich mythisch geprägte Welt der Dichtung, das eigensinnige Verständnis von Rhythmus und Klang, die Neuschöpfungen der Begriffe und die bis dahin unerhörte Sensibilität der Gefühle“ hätten schon zu Klopstocks Lebzeiten das Publikum überfordert (S. 51). Und: „Klopstocks ungebrochene, ja naive Gläubigkeit und die Auffassung vom Dichter als Künder des Gotteswortes galten als überholt, sein politischer Wechsel vom Befürworter der Französischen Revolution zum scharfen Gegner irritierte. Seine poetischen Ideale in Gestalt von Barden und germanischen Göttern wurden nicht angenommen oder von den antiken Idealen der Weimarer Klassik überstrahlt“ (S. 35). Schade, aber nicht untypisch für die Entwicklung literarischer Interessen. Bezeichnend ist, dass kaum Porträts von Klopstock überliefert sind, am eindrucksvollsten das von Jens Juel, zu besichtigen in Gleims Galerie in Halberstadt.

und zu literarischer Nachfolge

Argumente für eine erneute und anregend-erbauliche Lektüre dieses „Klassikers“ macht Kahrs in Klopstocks Naturlyrik aus, oder, gut neudeutsch formuliert, in seinem: „Nature writing“ (S. 51). In Gartow, an der Elbe und auf der Insel Stintenburg im Schaalsee empfing Klopstock Eindrücke, Axel Kahrs spricht mit Heinrich Detering von der „Entdeckung der Ökologie in der Literatur“ (S. 51), die ihn zu einem Vorläufer moderner Naturlyrik werden ließen. Das Individuum stehe „der Natur nicht mehr getrennt gegenüber, sondern versteht sich als Teil einer Wechselbeziehung, wie sie später auch von Humboldt und Goethe gesehen wurden“ (S. 52). Als Beispiel führt Kahrs Klopstocks Ode „Die frühen Gräber“ an.

Klopstocks Motive werden von heutigen Lyrikern übernommen, wie auch Klopstock sich bei seinen Vorgängern bediente, und bewähren sich damit in einer lebendigen Tradition. Im Gedicht „Stintenburg“ klingt Mitleid mit von den Fischern erbeuteten Maränen an, ebenso wie mit dem aufgespießten Wurm als Köder an der Angel. Klopstock wäre wie Goethe wohl nicht auf die Idee gekommen, sich hemmungslos und ohne Rücksicht auf Verluste die Erde „untertan“ zu machen. Beider Interesse an der Natur ist davon geprägt, sie verstehen und schützen zu wollen, sie zu erhalten. Die „poetische Verbindung von naturwissenschaftlichen Kenntnissen und kulturgeschichtlichen Prägungen“ mache den Reiz und die Modernität von Klopstocks Naturlyrik aus, betont Axel Kahrs (S. 86).

Sein schmaler, dafür aber durchgehend farbig illustrierter Band von 92 Seiten ist ausgesprochen liebevoll gestaltet, fast bibliophil zu nennen, bietet allerdings keine umfassende Klopstock-Biografie, stattdessen greift er speziell und beherzt jene Aspekte heraus, die in seinen Augen bis heute relevant bleiben. Vor allem die Auseinandersetzung mit Goethe und dem Weimarer Kreis. Und er kann Interesse wecken, doch noch einmal nach einem vergessenen Klassiker zu greifen.

(c) Köhring

Axel Kahrs
Klopstock? – Natürlich! Der Dichter, die Naturlyrik und die Grafen von Bernstorff

Lüchow 2024
92 Seiten, mit 40 farbigen Abbildungen
ISBN 978-39-2632-285-2

Preis: 17,00 €


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