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Goethe in Kutaissi
Weimar und Kutaissi, die Namen beider Städte begegnen uns schon auf dem Cover des Bandes, der das wissenschaftliche Ergebnis der Goethe-Tage 2019 in der georgischen Universitätsstadt zusammenfasst. Das ist mehr als eine äußerliche Geste, denn in der Tat sind die ‚Muttergesellschaft‘ in Weimar und ihre ‚Tochter‘ in Kutaissi durch viele Fäden verbunden. Geknüpft werden diese Fäden in Georgien von Nanuli Kakauridze, Professorin an der Akaki-Zereteli-Universität von Kutaissi, Ehrenmitglied unserer Gesellschaft und gern gesehener Gast zu unseren Hauptversammlungen. Seit vielen Jahren ist sie das geistige Haupt der dortigen Goethe-Gesellschaft und wendet sich vor allem mit mütterlicher Strenge der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu. Zu jedem Jahresanfang empfangen wir von ihr empfohlene Stipendiatinnen aus Kutaissi, stets mit vorzüglichen Deutschkenntnissen ausgerüstet, die sich mit Eifer ihren Studien in Weimar hingeben. Dass solche Aufenthalte schöne Früchte tragen, ist auch am vorliegenden Buch abzulesen, denn sowohl der Beitrag über E.T.A. Hoffmanns Roman „Kater Murr“ als auch die Studien über Thomas Mann und Günter Grass sind von ehemaligen Stipendiatinnen geschrieben worden.
Es versteht sich im Grunde von selbst, dass an einer georgischen Universität die Beschäftigung mit Goethe nicht im Mittelpunkt stehen kann. Zu vielfältig sind die Aufgaben, die vor einer germanistischen Ausbildung im Ausland stehen. Wissenschaft im Geiste Goethes zu betreiben bedeutet auch in Georgien, ihn als Anwalt weltliterarischer Kommunikation, einer Begegnung von Autoren aus unterschiedlichen Kulturen im Zeichen toleranter Verständigung ins Bewusstsein zu rufen. In diesem Sinne sind alle Abhandlungen des Bandes Geist vom Geiste Goethes.
Große Bedeutung wird in Kutaissi einer soliden sprachlichen Ausbildung zugemessen. So finden sich in diesem Band nicht nur Beiträge prominenter Sprachwissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena, die seit Jahrzehnten eine fruchtbare Kooperation mit Kutaissi eingegangen ist, sondern auch Studien georgischer Germanisten zu diffizilen Problemen der deutschen Sprache, in denen auch Fragen der mündlichen Handhabung des Deutschen sowie Schwierigkeiten beim Übersetzen vom Deutschen ins Georgische zur Sprache gebracht werden. Letzteres ist enorm wichtig in einem kleinen Land, das vor allem durch Übersetzungen Zugang zur älteren wie zur modernen Weltliteratur finden muss, dessen eigene Literatur leider nicht in jedem Falle die Beachtung findet, die sie verdient – wenngleich Georgien vor einigen Jahren Gastland der Frankfurter Buchmesse war. Ähnlich verhält es sich mit der musikalischen Tradition Georgiens, von deren ganz eigenem Charakter ich mich selbst bei einem Aufenthalt in Kutaissi im Oktober 2019 überzeugen konnte. Auch hier reicht der Blick über die eigenen Landesgrenzen hinaus, wie eine im Band enthaltene Studie zu einer Filmmusik von Alfred Schnittke bezeugt. Auf einer unserer Hauptversammlungen hat Frau Prof. Kakauridze einen instruktiven, von Bildern begleiteten Überblick über die engen kulturellen Verbindungen zwischen Deutschland und Georgien geben können, die bis an den Anfang des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Im vorliegenden Band wird an die deutsch-georgische Malerin Helene Körber-Franken erinnert.
Eine Synthese von politischer und linguistischer Analyse stellt der Beitrag von Ramaz Svanidze über „Georgien als Transformationsgesellschaft aus diskurslinguistischer Sicht“ dar, der zudem Stationen georgischer Geschichte in Erinnerung bringt: die Gründung des unabhängigen Georgiens am 26. Mai 1918 – Deutschland war der erste Staat, der Georgien anerkannt hat –, die Einnahme von Tbilissi am 25. Februar 1921 durch die Rote Armee, mit der das freie Georgien ausgelöscht wurde, eine 50000 Teilnehmer zählende Demonstration in Tbilissi am 14. April 1978 gegen die Abschaffung des Georgischen als Staatssprache, schließlich die von der Bevölkerung begeistert begrüßte Unabhängigkeitserklärung am 9. April 1991, der Massendemonstrationen vorausgegangen waren. Der Begriff „Transformationsgesellschaft“ wird politisch, kulturpolitisch und sprachlich definiert, eine Bundestagsdebatte wird unter dem Aspekt linguistischer Diskursanalytik betrachtet – hier trägt eine enge kulturelle und politische Verbindung zwischen unseren Nationen Früchte. Svanidze plädiert für „eine friedliche Weiterentwicklung“ der georgischen „Transformationsgesellschaft“ (S. 191). Wer sich die fragile geopolitische Lage des kleinen Kaukasusstaates vor Augen führt, kann dieser Aussage nur beipflichten. Die Weimarer Goethe-Gesellschaft wird dazu auch künftig nach Kräften ihren Beitrag leisten.
Ausdrücklich Dank gesagt sei am Schluss den beiden Herausgeberinnen, Nanuli Kakauridze und der DAAD-Lektorin Maxi Bornmann, die gemeinsam einen schönen, gehaltvollen Band vorgelegt haben.
Ortsvereinigung Kutaissi der Internationalen Goethe-Gesellschaft in Weimar e.V.
Goethe-Tage 2019
Band 12
Herausgegeben von Nanuli Kakauridze und Maxi Bornmann.
Kutaissi 2019
202 S.
ISBN: 978-9941-484-20-9
Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter der Goethe-Gesellschaft, Ausgabe 4/2020.