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Goethe einmal anders – Zu einem Literaturkrimi von Bernd Köstering
Welche Rolle könnte Goethe in einem Krimi einnehmen? Wohl kaum die des berechnenden Täters, wenngleich vor Jahrzehnten Tilman Jens ein Buch mit dem Titel Goethes Opfer verfasst hatte. Näher läge schon sein Auftreten als ermittelnder Kommissar oder eventuell auch als Hoffnung verbreitende Lichtgestalt, ohne die kaum ein Krimiautor in der von ihm geschaffenen künstlichen Welt auskommt, in der ansonsten Verbrechen und menschliche Niedertracht zu Hause sind.
Nein, keine dieser Vermutungen trifft zu. Handelnd tritt Goethe nicht in Erscheinung, er liefert in gewisser Weise die Szenerie und ein Bildungsfundament. Goethekenntnis macht das intellektuelle Profil von Kösterings Ermittler Hendrik Wilmut aus, seiner Profession nach Germanistik-Dozent an der Frankfurter Universität, also ein Außenseiter der kriminalistischen Zunft. In dem mir vorliegenden Roman löst er bereits seinen fünften Fall. Vorausgegangen waren Titel wie Goetheruh, Goetheglut, Goethesturm und Goethespur. Nun also Goetheherz.
„Goetheherz“, so lautet der Titel der Soko, die zur Aufklärung einer Serie von Morden sich konstituiert und in der Wilmut zunächst als Berater, im Laufe der Ereignisse schließlich auch in einer direkten Ermittlerrolle agiert. Denn, soviel sei verraten, ermordet werden Frauen, deren Vornamen mit denen von „Herzdamen“ Goethes übereinstimmen. Wilmuts germanistisch gestützte Arbeitshypothese, zunächst nur einem befreundeten Kriminalisten anvertraut, stößt bei den Polizisten erst einmal auf große Skepsis, bis sie die eigenen Ermittlungen von der Schlüssigkeit seiner Annahmen überzeugen. Dass diese Hypothese zwar den Verlauf der Ereignisse erhellen kann, am Ende aber andere Motive den Ausschlag geben, sei nur angedeutet. Es wäre eine Sünde wider den potentiellen Leser, davon mehr preiszugeben.
Goethenah ist Kösterings Buch nicht nur in diesem Punkt. Er lässt es sich nicht nehmen, durch seinen germanistischen Ermittler biographische Einzelheiten von den herbeizitierten „Herzdamen“ mitzuteilen, finden die Morde doch jeweils an den Lebensorten besagter Damen statt. Die Reihe beginnt mit Käthchen Schönkopf und setzt sich fort über Lili Schönemann, Charlotte Buff, Charlotte von Stein, Christiane Vulpius, Minchen Herzlieb, Marianne von Willemer und endet mit Ulrike von Levetzow; nicht alle ihre modernen Namensschwestern, tröstend sei es gesagt, fallen dem Serientäter zum Opfer. Frankfurt, Goethes Geburtsstadt, und Weimar bilden die geographischen Pole der Handlung, deren blutiges Finale sich in Goethes Gartenhaus und in dessen Nähe ereignet. Da ein gutes Drittel des Romans in Weimar spielt – eine dort eingeschaltete Nebenhandlung hätte gekürzt, vielleicht auch weggelassen werden können –, kommen die örtlichen Verhältnisse genauer ins Bild. Köstering, selbst in Weimar geboren, beschreibt die aktuelle städtische Szenerie, in der bereits das neue Bauhausmuseum existiert. Leichte Verfremdungen sind dennoch wahrzunehmen. Wer nach der Lektüre Weimar besucht und zufällig in das Lokal „Versilia“ am Frauenplan gerät, wird dort vergebens nach einem „Kellergewölbe“ Ausschau halten. Ebenso wird ein prospektiver Leser enttäuscht sein, wenn er das Hotel „Giraphe“ am Marktplatz aufsuchen will. Das traditionell erste Haus am Platze heißt, wie der Kenner weiß, nach einem anderen großgewachsenen afrikanischen Tier.
Das aber sollte man dem Autor nicht nachtragen, der an den Schluss seines Buches eine „Infotafel zu Goethes Herzdamen“ gestellt hat. Seine Informationen sind in den meisten Fällen stichhaltig; die Behauptung, dass Goethe Ulrike von Levetzow einen Heiratsantrag gemacht habe, geistert immer noch durch die Goetheliteratur, wenngleich sie durch nichts bestätigt werden kann. Ähnlich verhält es sich mit der Annahme, Goethe habe Christiane aus Dankbarkeit für ihr „Durchsetzungsvermögen“ gegenüber der französischen Soldateska geheiratet. Wichtig war für seine Entscheidung vor allem, dass Herzog Carl August, der der Ehe hätte zustimmen müssen, nach der Schlacht von Jena und Auerstedt das Weite suchen musste. Erst Ende 1806 hat ihn Goethe in einem diplomatischen Meisterbrief unterrichtet, will sagen: vor vollendete Tatsachen gestellt. Ob das Etikett „Beziehung“ für Goethes Begegnungen mit seinen „Herzdamen“ glücklich gewählt ist, stehe dahin; in der Regel weckt es für den Leser von heute Assoziationen, die mit Blick auf Goethe nicht in jedem Fall am Platze sind.
Solche Bemerkungen am Rande sind aber unerheblich für das spannende Lesevergnügen, das einem bereitet wird. Neu war mir, dass das Bundeskriminalamt im November 2019 eine Fortbildungsveranstaltung für Krimiautoren veranstaltet hat – hoffentlich war es nicht die letzte –, die in die kriminalistische Theorie und Praxis einführte. Von den dort erworbenen Kenntnissen macht Köstering sinnvollen Gebrauch, für mich zählt dieses Element zu den Stärken des Buches. Dass er die Veranstaltung des BKA in seiner „Danksagung“ am Schluss erwähnt, ist sehr berechtigt. Sympathisch hat mich berührt, dass er auch Lebende in sein Buch einbezogen hat, den Kieler Germanisten Albert Meier ebenso wie den Inhaber des Cafés Opitz in der Nähe des Frankfurter Goethehauses. Sympathisch auch, dass Köstering möglicherweise immer noch existierende West-Ost-Rivalitäten – hier die Beamten aus Frankfurt und Gießen, dort der DDR-sozialisierte Kriminaldirektor aus Jena – am Ende in kriminalistische Kollegialität münden lässt.
Gestehen muss ich, dass meine Krimikenntnisse eher spärlich zu nennen sind; zuweilen aber, in Stunden der ‚Muße‘, greife ich zum Kriminalroman. In jedem dieser Romane, so auch hier, kann man über Motivationen und deren Umsetzung in eine logische Handlung geteilter Meinung sein. Ich habe Kösterings Buch mit eben so viel Interesse wie Sympathie gelesen und möchte annehmen, dass andere Leser dieses Empfinden teilen werden.
Bernd Köstering
Goetheherz
Literaturkrimi
Meßkirch 2021
Paperback, 345 Seiten
ISBN: 978-3-8392-0029-2
Preis: 13,00 €