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Gleich doppelt gelungen … – Hans-Jürgen Gaudecks „Poesie in Bildern“ zu Gedichten Goethes

von Andreas Rumler

Als Universalgelehrter sah Goethe die Natur und ihn umgebende Welt in ihren komplexen Zusammenhängen. Vielfältig sind die Zugänge, über die er sich den ihn interessierenden Phänomenen näherte: als Maler und Zeichner, als Experimente auswertender Forscher und Empiriker, als Sammler von Anschauungsstücken – und natürlich immer wieder als Dichter, der Bilder aufnahm, sprachlich gestaltete und in seinen Metaphern Möglichkeiten anbot, Natur und soziale Gesellschaft zu verstehen. Durch einen Teil der riesigen Hinterlassenschaft von Goethes Naturgedichten hat sich Hans-Jürgen Gaudeck jetzt anregen lassen –  ähnlich wie zuvor schon von anderen Poeten -, diese Lyrik nicht einfach zu illustrieren, sondern ihr eigenständige Kunstwerke an die Seite zu stellen: Aquarelle, angeregt durch Verse Goethes. 

In seinem kurzen Nachwort erläutert Hans-Jürgen Gaudeck, warum Goethes Gedichte ihn inspirierten: „Auffällig für mich sind seine oft spielerischen erotischen Bezüge, die sich im Nachklang zu einem nicht unwesentlichen Bestandteil des Gedichts entwickeln. Liebe und Natur haben hier eine enge Beziehung.“ (S. 81)  Als Beispiele dafür mögen zwei der bekanntesten lyrischen Werke Goethes dienen: das „Mailied“ (S. 66) und „Gefunden“ (S. 18). Allein die Reihenfolge, in der beide Texte im Band auftauchen, belegt, dass Hans-Jürgen Gaudeck seine Auswahl nicht chronologisch angelegt hat. „Divan“-Gedichte stehen neben frühen Versen, die in Briefen zunächst privat versandt wurden. Germanistische Puristen mögen das bedauern, auch die Tatsache, dass ein Inhaltsverzeichnis und einige biografische Kommentierungen vielleicht hilfreich gewesen wären. 

Aber ganz offensichtlich war das nicht das Anliegen von Hans-Jürgen Gaudeck. Er wollte der fast unübersichtlichen Fülle wissenschaftlicher Werke kein weiteres hinzufügen. Ähnlich wie Goethe sich aus seinem Erfahrungsschatz und Bekanntenkreis bedient hat, um neue, eigene Kunstwerke zu erschaffen, ohne dabei auf reale Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen, etwa auf die Augen- oder Haarfarbe seiner authentischen Vorbilder, stellt Hans-Jürgen Gaudeck einen bunten Strauß lyrischer „Blüten aus jedem Zweig“ von Goethes Œuvre zusammen. Es sind heitere, leichte, luftige, beschwingte Blicke in die Natur geworden. Menschen flanieren unter Bäumen in Parks, entlang von Wasserläufen, durch Wiesen. Nur schemenhaft sind die Figuren zu erkennen. Als Bestandteil der Natur fügen sie sich harmonisch ein, beherrschen oder zerstören sie nicht, genießen, was um sie herum blüht.     

Und offenbar hat Hans-Jürgen Gaudeck sich auch als Maler von Goethe anregen lassen. „Häufig zeigen seine Aquarelle minimalistische Elemente. Dies fiel mir vor allem in seinem 1787 datierten Bild auf, das die ‚Stürmische See‘ zeigt. Mit kräftigen preußischblauen Pinselstrichen, einigen Papierweißauslassungen und schnellen Stiftmarkierungen gab Goethe ein vital-stürmisches Wetter auf dem Meer in Aquarell wieder.“ (S. 81) Genau so könnte man die Technik beschreiben, die Hans-Jürgen Gaudeck anwendet. „Durch Feld und Wald“ habe er sich auf den Weg gemacht und „von der Weite des Meeres verführen“ lassen, erläutert Hans-Jürgen Gaudeck sein Vorgehen. Sein Anliegen war: „meine Poesie in Bilder zu fassen“ (S. 81). Das ist ihm, in der Nachfolge Goethes, thematisch und stilistisch, gleich doppelt gelungen. Herausgekommen ist dabei ein geschmackvoll gestalteter Band, an dem Freunde von Goethes Lyrik und einer heiter-malerischen Auffassung der Natur ihr Vergnügen haben werden, sei es, um einen alten Klassiker neu kennenzulernen, ihnen längst vertraute Gedichte in einem ungewohnten Kontext zu erleben oder um einmal mehr zu sehen, wie inspirierend Goethes Verse, fast zwei Jahrhunderte nach seinem Tod, noch immer zu wirken vermögen.

Hans-Jürgen Gaudeck
Es dringen Blüten aus jedem Zweig – Johann Wolfgang von Goethe

Steffen Verlag, Berlin, 2020 
84 S.
ISBN: 978-3-95799 087-7

Preis: 19,95 €

Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter der Goethe-Gesellschaft, Ausgabe 3/2020.


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