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Ein Drama von Christian August Vulpius neu herausgebracht
Es gibt Neues von Goethes Schwager, Christian August Vulpius. Nach der Ausstellung in Weimar vor zehn Jahren steigt in letzter Zeit wieder das Interesse an Goethes familiärem Umfeld, unter anderem mit der Ausstellung und der Publikation zu Ottilie von Goethe im vergangenen und dem Buch zu August von Goethe von Stephan Oswald aus diesem Jahr. Nun ist ein Drama von Vulpius wieder aufgelegt worden: „Die Männer der Republik. Ein Lustspiel in zwey Aufzügen“ von 1788. Es erscheint in der Reihe „Theatertexte“ des Wehrhahn-Verlags, die sich um viele vergessene Dramen des 18. Jahrhunderts verdient macht, z. B. auch um Kotzebues Drama „Der Graf von Gleichen“, das Andreas Rumler vor kurzem hier besprochen hat.
„Die Männer der Republik“ ist die Ödipus-Geschichte als Komödie: Bei einem Maskenball steigt ein durchreisender junger Herr namens Edmund der jungen Emilie hinterher. Sie ist die Tochter des Bürgermeisters und ganz angetan von seinem forschen Vorgehen, weist ihn aber ab. Als sie ihrer Mutter Arabella von dem Vorfall berichtet, setzt diese gleich dem Herrn hinterher. Hatte Edmund sich Emilie noch als Stürmer und Dränger genähert: „Die Liebe macht mich kühn – ich wage und hoffe“ (S. 8), versucht er sich Arabella mit barocker Galanterie vom Hals zu halten: „Amor sas in deinen Augen, welche elektrisches Feuer auf mich sprühten – Der Liebesgott floh davon – wohin? – in mein Herz – er hat es ganz in Besiz genommen – er bringt es Dir“ (S. 25). Mit solch träumerischen Anwandlungen kann die handfeste Arabella nichts anfangen: „Nein! Unsere Glückseligkeit soll kein Traum seyn. Du bleibst hier“ (S. 26). Sie verbringt die Nacht mit ihm und schließt ihn in einem Zimmer ihres Hauses ein. Am nächsten Morgen wird der Fremde dort gefunden und von Bürgermeister und allerlei Amtsträgern zur Rede gestellt. Als er sich als Dichter zu erkennen gibt, hat er das Wohlwollen aller auf seiner Seite, denn der Stadtschreiber und der Lizenziat verstehen sich selbst als Komponist und Dichter und der Bürgermeister sich als generöser Mäzen von Kunst und Kultur. Dabei wird nur allzu deutlich, dass es mit ihrem Kunstverstand nicht weit her ist, denn der Lizenziat reimt Schäferidyllen und der Bürgermeister rechnet es sich als größte Kulturtat an, Maskenbälle und Redouten zu veranstalten. Edmunds Kunstverständnis scheint da zeitgemäßer, jedoch kommt er damit auch nicht ungeschoren davon. Er muss sich angesichts seiner unverstellten Gefühlsäußerung zurechtweisen lassen, dass es sich in einem Verhör nicht gehöre, zu singen. Dieses Verhör bringt an den Tag, dass Edmund der uneheliche Sohn eines Grafen und Arabellas ist, die der Verwandlung ihres Liebhabers in ihren Sohn mit erschütterungsfreier Freude begegnet. Der Bürgermeister lässt in Familiendingen die gleiche pragmatische Nachsicht walten wie in Amtsgeschäften und stellt den neugewonnen Sohn, der glücklicherweise Jura studiert hat, gleich ein. Er bittet lediglich darum, in Zukunft die Finger von der Verwandtschaft zu lassen, was Edmund unverzüglich zugesteht und damit ins happy end abbiegt.
Dass die Geschichte eines Inzests möglicherweise mehr zu einer Tragödie taugt als zu einer flotten Komödie, ist Vulpius klar, weswegen er die Figuren lediglich zu überzeichneten Stereotypen macht und so die Möglichkeit zum Mitempfinden entschieden erschwert. Das nimmt dem Stück das Skandalöse, völlig unmulmig muss man es aber wahrscheinlich trotzdem nicht lesen. Die Stärke des Stücks liegt laut dem Nachwort von Alexander Košenina denn auch vor allem in zwei anderen Dingen: der Satire auf die Weimarer Umstände und der virtuosen Bezüge zu verschiedensten Texten und Schriftstellern. Ein Kleinstfürst, der sich als Kulturförderer versteht, und ein zugereister selbstgewisser Dichter, der Jura studiert hat: Die Parallelen zur Situation im Weimarer Herzogtum sind genauso offensichtlich wie die Unterschiede, denn eine Fürstin, die sich im Medea-Kostüm nimmt, was sie will, eine abgebrühte Fürstentochter und einen barockschwülstig dilettierenden Fürstenbruder sucht man im Weimar des Jahres 1788 vergeblich. Schließlich leben dort Menschen und keine überdrehten Klischees. Dabei ist gerade die Gestaltung des Komödienpersonals allererste Sahne, denn die Kunstfiguren bestehen zu einem großen Teil aus Zitaten. So schlagfertig die Figuren miteinander reden, sie sprechen meist in witzig veräppelnden Anspielungen auf antike Mythen, auf Texte von Vergil und Horaz oder auf die Zeitgenossen Lessing, Wieland oder Johann Martin Miller (vgl. S. 50f.). Vulpius kennt die literarische Tradition und den literarischen Betrieb seiner Zeit und geht gegen beides mühelos lustig vor. Das macht „Die Männer der Republik“ neben einer Inzest-Geschichte zu einer Theater- und Literaturkomödie, also sozusagen zu einer Inzest-Literatur-Komödie. Damit wäre die Genrezugehörigkeit des Stücks so zutreffend wie unzufriedenstellend bestimmt.
Christian August Vulpius
Die Männer der Republik. Ein Lustspiel in zwey Aufzügen
Mit einem Nachwort herausgegeben von Alexander Košenina
Hannover 2023
52 Seiten
ISBN 978-3-98859-017-6
Preis: 10,00 €