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Der Dichter und die üblichen Verdächtigen – Sophia Mott über „Goethe und die Frauen“

von Andreas Rumler

Goethes unterschiedliches Verhältnis zu Frauen dürfte eines der beliebtesten Sujets sein, denen Autorinnen und Autoren ihre Aufmerksamkeit widmen im Spektrum der reichhaltigen Literatur über das Weimarer Universalgenie. In der Reihe „blue notes“ hat Sophia Mott nun nach ihrer Darstellung „Beethoven und die Frauen“ (2020) einen Band mit dem sprechenden Untertitel „Inszenierungen der Liebe“ folgen lassen. Gewissenhaft listet sie Goethes Damenbekanntschaften auf samt Mutter, Schwester und Ehefrau. Dabei geht sie chronologisch vor, beginnt allerdings außer mit Frau Aja im ersten Kapitel auch mit Maria Szymanowska. Nicht ganz klar ist, für welches Genre Sophia Mott sich entscheiden wollte. Eine wissenschaftliche Arbeit hat sie nicht vorgelegt, verzichtet auf Belege und Quellenangaben, ein Roman ist es auch nicht, eher eine Reihe von Erzählungen, gespickt mit viel Fantasie.

Gleich eingangs überrascht der vertraute Ton. Man meint, anwesend zu sein und den Geheimrat empört schnauben zu hören. Denn es ist etwas passiert, womit Goethe nicht gerechnet hat, sein Gast ist aufgebrochen, einer Einladung mit Kutsche an den Hof Folge zu leisten. Allerdings: ohne sich von ihm zu verabschieden, um den Wagen und den Herzog nicht warten zu lassen, während er kurz den Raum verließ. „Die Großfürstin Maria Pawlowna ist somit wichtiger als er. Und ohne Abschied! Dann bricht die herrische Miene zusammen, die Backen fallen ein, die Mundwinkel senken sich grämlich, er schließt die Augen. Die Familie, vollzählig samt den Enkeln Walther und Wolf am Tisch versammelt, hält die Luft an“ (S. 7). Unwillkürlich fragt man sich, woher Sophia Mott diese Details haben will und vor allem: Warum die Leser sie interessieren sollten?

Wie der Untertitel bereits zu erkennen gibt, geht Sophia Mott von einer kühnen These aus: „Mit der Liebe tut er sich schwer“ (S. 13). Goethes Lösung seines Problems sei, zu fabulieren: „Den Frauen, denen er begegnet, dichtet er an, was sie nicht haben, erfindet Liebesgeschichten, die manchmal keine sind, manchmal keine werden können“ (S. 13). Goethe praktiziere seine „kleineren und größeren Inszenierungen der Liebe“ (S. 13). Damit möchte sie wohl andeuten, Goethe sei unfähig zu echten Gefühlen gewesen und hätte stattdessen seine Amouren weitgehend spielerisch vorgetäuscht.

Im Verlauf der folgenden Kapitel versucht sie, diese Vermutung zu verifizieren. Dass die Beziehung zu Anna Katharina Schönkopf, sie ist etwas älter als ihr jugendlicher Verehrer, auch an seinen Eifersüchteleien scheitert, führt Sophia Mott auf seine Unreife zurück: „Er ist sechzehn Jahre alt, größenwahnsinnig, verletzbar, unerfahren, zum ersten Mal von zu Hause fort“ (S. 23). Doch Goethe setzt seine Erlebnisse produktiv um mit dem Schäferspiel „Die Laune des Verliebten“ und dem Lustspiel „Die Mitschuldigen“. Sophia Motts Resümee: „Damit ist die Liebe zu Katharina Schönkopf hinreichend ausgeschlachtet“ (S. 26).

Dass Goethe bei Familie Brion, speziell bei Friederike Hoffnungen erweckt, die er später bitter enttäuscht, wer wollte das bestreiten? Aber ob man diese Episode als „Inszenierung“ und damit als unehrlich abtun sollte, wäre doch wohl eine andere Frage. Sophia Mott wird sogar noch konkreter: „War er nun mit ihr intim oder nicht? Manches spricht dafür. Friederike vertraute auf Goethes Liebe“ (S. 33). Natürlich kann die Autorin diese – für uns letztlich unerhebliche Frage – nicht beantworten.

Komplizierter wird die Sache bei Charlotte Buff. „Seine Sympathie für diesen Typus“ sei „natürlich eine Verzwergung des weiblichen Geschlechts, das nur zuständig ist für die täglichen Bedürfnisse, Essen, Trinken, Sex, um alles andere, die geistigen Genüsse, kümmern sich die Männer“ (S. 43–44). Die berühmte Szene des „Werther“, in der Lotte „Klopstock“ hauche, sei vielleicht „aber auch nur eine Erfindung“ (S. 44). Klar: Genau das macht eben Literatur aus, dass Autoren Anregungen aus der Realität aufgreifen und die mehr oder weniger modifiziert übertragen in ihre Werke. Aber andererseits sagt das eigentlich wenig darüber aus, was Goethe wirklich angesichts von Charlotte Buff empfunden haben mag. Sophia Mott ist allerdings überzeugt: „Goethe packt wieder seinen ganzen Charme und Witz aus“ (S. 44) – soll wohl bedeuten: Er inszeniert bloß.

Auch in der Darstellung der Schwester Cornelia und des Schwagers Schlosser menschelt es gewaltig: „Die Geschwister Cornelia und Wolfgang mögen sich ängstlich genähert haben. Nimmt er mir die Verlobung übel, denkt Cornelia, und der Bruder: Bin ich jetzt abgemeldet? Beide stellen erleichtert fest, dass das alles nicht der Fall ist“ (S. 48). Als man gemeinsam zur Lese im Weinberg der Familie Goethe schreitet und anstößt, gerät auch der eher spröde künftige Schwager in Laune: „Selbst der ernsthafte Schlosser taut auf. Als es dunkelt, stecken sich er und Goethe Wachslichter auf den Hut und torkeln Arm in Arm nach Hause“ (S. 48–49). „Schreibt der Bruder an Schlosser Briefe, so wie an Kestner? Nein, natürlich nicht. Mit Cornelia, das geht tiefer, ganz tief ins Unterbewusste. Daraus kann man kein literarisches Kapital schlagen, daraus will er kein literarisches Kapital schlagen“ (S. 50).

Charlotte von Stein lernt er abseits der steifen Zwänge des Hofes kennen. „Goethe selbst erinnert sich später nur an die erste entscheidende Begegnung auf Schloss Kochberg, dem Landgut der Familie Stein. Hier beschließt er: Charlotte von Stein soll meine neue Muse werden“ (S. 72). Eine etwas hilflos-naive Vorstellung, wie Literatur entsteht. Und weiter: „Die Idee für eine neue Inszenierung der Liebe, diesmal nur in Briefen, Billets, ‚Zettelgen‘. Das Exposé ist schon fertig: Eine Dame von Welt, auch wenn es nur Weimar ist, und er, ihr Minnesänger“ (S. 73–74). Das soll wohl ironisch gemeint sein, wird aber den Beteiligten und ihrer Bedeutung beim besten Willen nicht gerecht. Unwillkürlich fühlt man sich an eine Stelle im „Werther“ erinnert, Lotte versucht ihn freundlich zu bremsen mit dem Hinweis, er sei fürchterlich, wenn er sich so „lustig“ gebe. Und, ach ja, da war noch was, auch hier wieder: „Die Frage nach dem Sex lässt sich nicht vermeiden“ (S. 78). Doch, ließe sich. Zumal die Betten längst erkaltet sind. 

Das Kapitel über Christiane überschreibt Sophia Mott „Das arme Geschöpf“ (S. 95–110). Was als Zitat gewiss korrekt wiedergegeben ist, muss nicht unbedingt sinnvoll sein, um die Persönlichkeit angemessen zu erfassen. Sie begegnen sich, weil Christiane ihm einen Bittbrief für ihren Bruder übergibt: „Als Autor ist er keine ernst zu nehmende Konkurrenz. Da ist der Geheimrat immer bereit zu helfen“ (S 96). Dass ausgerechnet das klatschhafte Lästermaul Böttiger als Gewährsmann herhalten muss zu beschreiben, wie Goethe „häusliche Geborgenheit … abends im Lehnstuhl“ (S. 100) erlebt, ist etwas dürftig. Und Eckermann als „Chronist“ zu charakterisieren, ist eine originelle Idee, trifft aber nicht den Kern der Sache. Eine weitere „Liebesinszenierung Goethes“ (S. 121) sieht Sophia Mott im Zusammentreffen mit Willemers in deren Gerbermühle: „Er braucht jemanden zum Andichten für seine geplante orientalische Gedichtsammlung, seine Suleika“ (S. 121). Sophia Mott: „Und dann wird gedichtet“ (S. 122, sic!). Es kommen übrigens noch ein paar weitere Damen vor – die üblichen Verdächtigen halt.

Den Band beschließen ein „Register der Frauen in Goethes Leben“ (S. 132–139) und eine Liste „Quellen und ausgewählte Literatur“ (S. 140–143). Es ist schon sehr mutig, einem Menschen zu unterstellen, der habe Liebesbeziehungen lediglich „inszeniert“, um Stoff für seine Dichtungen zu haben, und zeugt auch nicht gerade von einer sorgfältigen Lektüre eben dieser Werke. Man käme, liest man sie unvoreingenommen und genau, zu anderen Ergebnissen. Fatal ist aber vor allem auch das Rollenverständnis der Frauen in Goethes Leben. Implizit unterstellt Sophia Mott den Partnerinnen Goethes damit, unbedarfte Dummchen zu sein, die nicht kapierten, wie sehr sie unter Wert letztlich missbraucht wurden: als Projektionsflächen für literarische Produktion. Ihnen diese unqualifizierte Opferrolle posthum anzudichten, zeugt von Fantasie und hat frauenfeindliche Züge.   

Leider verzichtet Sophia Mott hier auch darauf, genauer anzugeben, warum es sinnvoll ist, sich mit den Damenbekanntschaften eines Herren zu beschäftigen, der vor knapp 200 Jahren starb. Kaum werden seine Dichtungen erwähnt, noch werden seine Leistungen und seine politische Verantwortung als Minister des Duodez-Fürstentums gewürdigt und auch seine wissenschaftlichen Bemühungen kommen praktisch nicht vor. Fragen, die im Rahmen nicht nur der Goethe-Gesellschaft bis heute weltweit erörtert werden. Es hat ja Gründe, warum alle zwei Jahre zu den Hauptversammlungen Philologen aller Kontinente nach Weimar anreisen, um sich über Goethe und sein Werk im Diskurs auszutauschen. Schade eigentlich, denn das Thema ist wichtig und wäre spannend zu untersuchen, und der Verlag hat den Band wirklich liebevoll gestaltet und in eine – den Titeln nach zu urteilen – ambitionierte und verdienstvolle Reihe aufgenommen.

(c) Ebersbach & Simon

Sophia Mott
Goethe und die Frauen. Inszenierungen der Liebe

Berlin 2024
244 Seiten
ISBN 978-3-86915-296-7

Preis: 20,00 €


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