Blog

Neue Bücher

Biografien der etwas anderen Art

von Andreas Rumler

Frank Bergers Darstellung „Das Geld der Dichter in Goethezeit und Romantik
71 biografische Skizzen über Einkommen und Auskommen“

Wieland dürfte einer der angesehensten, erfolgreichsten und am besten honorierten Schriftsteller seiner Zeit gewesen sein. Trotzdem riet er seinem Sohn dringend davon ab, durch Schreiben sein Dasein bestreiten zu wollen. Denn von den damals lebenden rund 6.000 Autoren könnten nur 5 wirklich von „ihrer Feder existieren“ (S. 146) berichtet Frank Berger Wielands Warnung in seiner Darstellung „Das Geld der Dichter in Goethezeit und Romantik“ und nennt diese Glücklichen: Goethe, Schiller, Richter (also Jean Paul), Kotzebue und Lafontaine.

Frank Berger hat sich die Mühe gemacht, Tagebücher, Briefwechsel und Ausgaben-Listen, Rechnungen von Verlagen und andere Quellen, in denen er Informationen über Lebensbedingungen von Schriftstellern zu finden hoffte, gewissenhaft durchzusehen, um die wirtschaftliche Lage und leider häufiger: Misere heute noch bekannter oder vergessener Autoren zu erkunden. Im Prinzip hat sich bis jetzt an Wielands damaligem Befund nicht viel geändert: Nur ein recht geringer Teil von ihnen kann sich wirklich durch seine schriftstellerische Arbeit sorgenfrei ernähren. 

Einerseits handelt es sich hier um eine bemerkenswerte Fleißarbeit, andererseits auch letztlich um Zufallsfunde, um glückliche Umstände, durch die sich verschiedene ökonomische Daten erhalten haben. Kompliziert macht diese Recherche, dass vor der Gründung des Deutschen Reichs 1871 keine gemeinsame Währung existierte. „Um 1800 zirkulierten im Reich mehr als tausend verschiedene Münzsorten.“ (S. 10) Deshalb stand Frank Berger vor der Herausforderung, Grundlagen dafür zu entwickeln, wie man die Geldbeträge seit dem frühen 19. Jahrhundert miteinander und dem modernen Euro vergleichen kann. Angesichts dieser diffizilen Überlegungen wird verständlich, dass sich kein Literaturwissenschaftler, sondern ein Numismatiker an die Aufgabe gewagt hat: „Eine umfassende und nachvollziehbare Einschätzung der finanziellen Verhältnisse deutscher Dichter und Künstler“ zu liefern, ohne „den Anspruch einer wissenschaftlichen Arbeit“ (S. 9). 

Aufgeteilt hat Frank Berger seine Darstellung – nach einem Vorwort und einigen Thesen zum Thema – in drei Kapitel. Das umfangreichste präsentiert die Ergebnisse seiner Recherchen: „Kapitel 1 Das Einkommen der Dichter, Dichterinnen, Gelehrten, Maler und Musiker der Goethezeit und der Romantik“ (S. 18 – 289), wobei er Unternehmer wie Bertuch und Cotta oder einen Intellektuellen wie Joseph Görres (S. 230 – 233: „Der störrische Publizist“) großzügig mit einbezieht und in „Wien, ein monetärer Sonderfall“ (S. 267 – 289) anhand von Beethoven (S. 273 – 277: „Die Finanzen im Blick“) oder Mozart (S. 279 – 284: „Was kostet die Welt“) die speziellen Verhältnisse in Österreich darlegt. Die Auswahl der Künstler ist wohl dem Zufall überlieferter Dokumente geschuldet, so tauchen beispielsweise Goethes Schwager Christian August Vulpius oder Heinrich Heine in der Liste des Inhaltsverzeichnisses nicht auf. Die beiden kürzeren folgenden Kapitel sind überschrieben: „Kapitel 2 Das Leben, eine finanzielle Angelegenheit“ (S. 291 – 311) und „Kapitel 3 Münze, Einkommen und Geldwert“ (S. 313 – 345). 

Über Leistungen und Werke der besprochenen Künstler erfährt man fast nichts, was zumindest bei den heute unbekannteren hilfreich gewesen wäre, etwa in den Abschnitten „Flach und erfolgreich: August Lafontaine“ (S. 85 – 88) oder „Die zähe Literatin: Therese Huber, geb. Heyne“ (S. 150 – 153). „Biografische Skizzen über Einkommen und Auskommen“ verspricht der Titel, keine Charakterisierungen der „Dichter“ und ihrer Werke. Naturgemäß sind die glücklich überlieferten Daten von unterschiedlicher Relevanz und selten komplett. So erfahren wir beispielsweise über Wilhelm von Humboldt (S. 202 – 206: „Der reiche Minister“): „Ein Bordellbesuch am 10. 8. 1789 ist mit einem Karolin ins Ausgabenbuch eingetragen.“ (S. 203) und „Seiner intimen Berliner Freundin Charlotte Diede gab er 1815 regelmäßig 10 Taler pro Monat.“ (S. 205) oder „Freudenmädchen besuchte er häufig, zumeist vormittags.“ (S. 205) Überliefert hat sich auch, dass in Spanien bei Humboldts Reisen 1799 und 1801 „ein viersitziger Wagen mit 6 Maultieren 20 Livres am Tag kostete“ (S. 205); andere Ausgaben, die bei beiden Reisen auch angefallen sein dürften, sind offenbar nicht bekannt. Informationen über die konkreten Lebensverhältnisse wären hier sinnvoll gewesen. Oder ein Vergleich der Bedingungen, unter denen damals Dichter reisten: Goethe komfortabel nach Italien, Seume wanderte nach Syrakus wie Hölderlin nach Bordeaux oder eben Humboldts Fahrt nach Spanien. 

Häufig stieß Frank Berger auf Verlagsdokumente und Briefwechsel, aus denen ersichtlich wird, wie sehr die Einkommen der Betroffenen von ihrem Marktwert, ihrem Verhandlungsgeschick und Selbstbewusstsein abhingen, natürlich auch von ihrer finanziellen Situation, die es ihnen erlaubte, Forderungen stellen zu können oder „Bettelbriefe“ senden zu müssen. Zu den Spitzenverdienern aufgrund seines Erbes, seiner Dienstbezüge und Honorare gehörte Goethe, seinen Enkeln hinterließ er Immobilien und Bargeld, Rechte aus seinen Werken. Verlegern gegenüber konnte er Ansprüche anmelden und mit Nachdruck verhandeln. 

Auch wenn sein modifiziertes Bild den Einband schmückt: Im Kapitel „Der Meister aller Dinge: Johann Wolfgang Goethe“ (S. 47 – 50) wird dessen „finanzielle Situation nur knapp skizziert“ (S. 47). Leider erfährt man wenig über sein Werk und seine Bedeutung. Mindestens wäre ein Hinweis interessant gewesen, dass Goethe maßgeblich dazu beigetragen hat, „das Geld der Dichter“ realiter zu mehren, die wirtschaftliche Lage der schreibenden Zunft entscheidend und nachhaltig zu verbessern: Als Autor litt er darunter, dass Texte nicht geschützt waren. Abgesehen vom finanziellen Schaden empörte ihn, dass nicht vom Autor genehmigte Nachdrucke häufig falsch und verunstaltet erschienen. Mit dem Druckprivileg von 1825 sicherten Cotta und er sich gegen Raubdrucker ab und wurden zu Vorkämpfern für das deutsche – international vorbildliche – Urheberrecht. Dadurch konnte Goethe seine Honorar-Einnahmen selbst verbuchen. 

Anders dagegen erging es seinem Freund: „Die finanzielle Niete: Johann Gottfried Herder“ (S. 56 – 61). Auch hier wird angesichts der knappen rein finanziellen Angaben weder Herders geistesgeschichtliche Leistung verständlich, noch wird eine überzeugende Begründung für die Kapitelüberschrift gegeben. Bekannt dürfte Herder heutigen Lesern kaum sein, deshalb wären einige Angaben zu seinen Werken hilfreich gewesen. Lebenslang litt er unter Schulden, erst der „Nachlass Herders ließ sich gut vermarkten.“ (S. 61) Auch diese Probleme dürften heutigen Autoren nicht unbekannt sein.   

Manche Zitate belegt Frank Berger im Text, andere in Fußnoten, die Mehrzahl überhaupt nicht, aber er erhebt ja keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Eine Reihe von Illustrationen lockert den Text angenehm auf, zeigt Orte, Wohn- und Sterbehäuser, Arbeitszimmer, Erstausgaben, die Autoren, Gelehrten, Maler und Musiker oder auch gängige Zahlungsmittel. Das „Inhaltsverzeichnis“ (S. 4 – 7) überrascht. So wird Bettine von Arnim in einem „Exkurs“ der Rubrik „Dichter“ zugeschlagen (S. 24 – 29). Sie taucht aber weder im Abschnitt „Literatinnen“ (S. 146 – 179) auf, noch im „Kapitel 2 Das Leben, eine finanzielle Angelegenheit“ im Abschnitt: „Seltene Exemplare: Schreibende Frauen“ (S. 305 – 306). Heinrich Heine kommt im „Inhaltsverzeichnis“ nicht vor, lediglich eingestreut in den Text, einmal im Kapitel über Börne. Deshalb wäre ein Register keine schlechte Idee gewesen. 

Unterhaltsam liest sich diese „Zusammenstellung finanzieller Miniaturen großer Geister“ (S. 9), mitunter menschelt es gewaltig. Wohl, um die Aneinanderreihung trockener, letztlich wenig aussagekräftiger einzelner Fakten aufzupeppen, verfällt Frank Berger darauf, Kapitelüberschriften zu formulieren, die man eher in einem Boulevardmagazin erwartet hätte, etwa: „Der dichtende Nesthocker: Friedrich von Hardenberg ‚Novalis‘“ (S. 50 – 53) oder „Die finanzielle Nullnummer: Friedrich Schlegel“ (S. 113 – 119) und „Angsthase des Lebens: Franz Grillparzer“ (S. 277 – 279). Salopp gesagt, liegt hier eine Sammlung skizzierter Biografien der etwas anderen Art vor, etwa Lebensbilder im Fast-Food-Format, die allerdings Interesse zu wecken vermögen, sich für den einen oder anderen der hier Porträtierten wirklich zu interessieren, zum Buch eines Dichters zu greifen oder Musik der Komponisten zu hören. Und das ist ja nicht das Schlechteste, was man über – wenn auch recht knapp und rein pekuniär angelegte – „biografische Skizzen“ sagen kann.

Frank Berger
Das Geld der Dichter in Goethezeit und Romantik / 71 biografische Skizzen über Einkommen und Auskommen

Verlag Waldemar Kramer im Verlagshaus Römerweg, Wiesbaden 
352 S.
ISBN: 978-3-7374-0486-0 

Preis: 20,00 €

Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter der Goethe-Gesellschaft, Ausgabe 3/2020.


Schlagwörter