Blog

Neue Bücher

Ästhetik als Wirtschaftsfaktor – Bertuchs „Journal des Luxus und der Moden“

von Andreas Rumler

Viele Bedingungen, unter denen Menschen in der angeblich so „guten alten Zeit“ lebten und litten, mag man sich heute nicht mehr vorstellen. Sie sind passé. Und das ist auch besser so. Etwa Kleiderordnungen. Früher rümpfte man nicht nur die Nase angesichts eigenwilliger Outfits, wegen längerer Haare oder beim Anblick von Hosen, die mehr aus Rissen und Löchern als aus Stoff zu bestehen scheinen. Während man jetzt, wie in Köln, sagt, jeder „Jeck“ sei eben anders oder man müsse „jönne könne“, verstießen Bürger mit anstößiger Kleidung früher gegen geltendes Recht und mussten Sanktionen fürchten. Mit verbindlichen Kleiderordnungen wurden Standesschranken demonstriert oder Anhänger der religiösen Konkurrenz diskreditiert. Die Französische Revolution trug dazu bei, diese feudalen Zwänge zu überwinden.

So kamen im Umkreis der demokratischen Umwälzungen Publikationen auf den Markt, die Mode und Design nicht als Vehikel begriffen, Standesprivilegien zu zeigen und zu verteidigen, sondern Ästhetik und Funktionalität ins Zentrum ihrer Darstellungen rückten. Eine der wichtigsten war das „Journal des Luxus und der Moden“. Es erschien von 1786 bis 1827, zeitweise auch unter anderen Titeln. Herausgegeben wurde es von dem Weimarer Autor, Verleger und Unternehmer Friedrich Johann Justin Bertuch in Zusammenarbeit mit dem Künstler Georg Melchior Kraus. In besten Zeiten erreichte es rund 25.000 Leser. Denen bot es in den gut vier Jahrzehnten seines Erscheinens von 1786 bis 1827 rund 12.000 Textbeiträge und 1.500 Abbildungen auf 40.000 Druckseiten.

Zu den interessantesten Köpfen des geistigen Weimarer Mikro-Kosmos zählten die beiden Herausgeber. Bertuch (1747–1822) war Jurist, hatte sich als Schriftsteller und Übersetzer einen Namen gemacht, war zeitweilig Mitherausgeber von Wielands „Teutschem Merkur“ und publizierte dort. Die Stationen seiner politischen Karriere sind ebenfalls bemerkenswert: Als Geheimsekretär und Schatullenverwalter – einen Schatzmeister würde man das heute nennen – von Carl August zählte er zu den einflussreichsten Persönlichkeiten des Herzogtums. Als bedeutendster Unternehmer des Landes beschäftigte er bis zu 500 Mitarbeiter. Er hatte bereits 1785 die „Allgemeine Literatur-Zeitung“ gegründet. Sein „Landes-Industrie-Comptoir“ trug Züge eines modernen Konzerns, lange bevor man in diesen Kategorien dachte, im hauseigenen Verlag und der Druckerei erschienen wissenschaftliche und politische Fachzeitschriften. Der Künstler Georg Melchior Kraus (1737–1806) stammte wie Goethe aus Frankfurt. Wieland und Bertuch holten ihn nach Weimar, wo ihn Carl August an die von ihm 1776 gegründete „Fürstliche freie Zeichenschule“ berief und zu deren Leiter ernannte. Diese Position bekleidete Kraus bis an sein Lebensende. Unter anderem fand der Unterricht im „Roten Schloss“ statt, heute übrigens auch Ort der modernen Räumlichkeiten der Anna-Amalia-Bibliothek und der internationalen Goethe-Gesellschaft.

Düsseldorfs Goethe Museum in Schloss Jägerhof bewahrt dank der Sammlung des Verlegers Anton Kippenberg fast alle Ausgaben dieses Journals und so lag es nahe, einmal einen Überblick zu geben, was damals vorgestellt und diskutiert wurde, vor allem aber auch, welche Ideen bis heute fortwirken konnten. Zu der Ausstellung „Luxus & Lifestyle. Weimar und die weite Welt“ erschien ein 264 Seiten starker im Din A4 Format opulent bebilderter Band mit wissenschaftlicher Darstellung, unter anderem von der Kuratorin Barbara Steingießer. Nachlesen konnte man im Journal den Anspruch der Herausgeber: „Wir schreiben die Chronik des Geistes unserer Zeit, insofern er von der Mode beherrscht, geleitet, und geformt wird.“ (S. 5)

Empirekleider vor vergrößerten Abbildungen aus dem „Journal“ in der Ausstellung mit Mobiliar der Zeit (S. 14f.)

Letztlich bedeutet dieses Anliegen nicht weniger als eine Bestandsaufnahme der Gesellschaft und Lebensbedingungen. Heute bilden die Hefte ein einzigartiges Zeitdokument, es handelte sich um die erste und lange Zeit tonangebende Veröffentlichung ihrer Art. Nahezu alle Themen des täglichen Lebens wurden hier in Bild und Text angesprochen und erläutert: Mode, Toilette, Haus, Garten, Gesundheit, Erziehung, Theater, Kunst und Literatur, Geräte und Erfindungen für den Haushalt, Kutschen und Schlitten sowie ferne Länder und Reisen allgemein, natürlich auch Gesellschaftsklatsch und politische Ereignisse – ein Kompendium wie eine Zeitkapsel, ideal geeignet, die Umbrüche der Epoche Goethes und Napoleons in ihrem ästhetischen und kulturellen Niederschlag zu verstehen. Natürlich wandten Bertuch und Kraus sich an ein „gut betuchtes“ Publikum aus Bürgertum und Adel, das sich die vorgestellten Artikel überhaupt leisten konnte und über Zeit und Muße verfügte, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen, statt durch die Arbeit für seinen Lebensunterhalt ausgelastet zu sein.

Erstaunlich modern muten manche Objekte an. Etwa ein Mehrzweck-Möbel: „das Studierzimmer-Bett“ (S. 35), das sich umbauen ließ als Kanapee zwischen Kommoden oder nächtens als Schlafgelegenheit samt Zubehör diente. Oder eine Uhr mit eingebauter Öllampe, sie projizierte das Zifferblatt nachts an die Wand. Bekannt sind Goethes Bibliotheks-Stuhl, der sich als Leiter aufklappen ließ, oder sein Sitzbock aus dem Gartenhaus. Moderne Spielzeuge stellte das „Journal“ vor, die bis heute beliebt sind: das Kaleidoskop oder das Jo-Jo – damals als „Joujou de Normandie“ bekannt. Wobei dem Spiel nicht nur die Bedeutung von Amüsement und Zeitvertreib zukam, ganz im Sinn von Schillers Plädoyer für das Spiel als „ästhetische Erziehung des Menschen“. So las man im „Journal“ vom „Junius“ 1818: „Der Kaleidoskop […] wird höchstwahrscheinlich bald allen Tapetenfabrikanten, Kattundruckern, Papierfärbern, Porzellanfabrikanten, und anderen Künstlern, deren Studium es ist, schöne und neue Muster zu bekommen, die Quelle seyn, aus der sie schöpfen.“ (S. 39)

Ganz bewusst dachten die Herausgeber bereits global und verstanden ihr Werk als kulturhistorische Quelle für spätere Generationen: „Denn nach Jahrhunderten, wenn vielleicht unsere Nation in das Chaos der Allgemeinheit einer Universalnation geschmolzen seyn wird, kann es noch manchem Geschichtschreiber ein willkommener Fund seyn, um die Sitten, Moden und Gebräuche der Jeztwelt daraus zu schöpfen.“ (S. 43) Moden also als Spiegel und Ausdruck, die gesellschaftliche Entwicklungen erkennen lassen.

Völlig neu war die Idee eines solchen Magazins nicht, nur Wochen zuvor wurde in Paris ein „Cabinet des Modes“ begründet. Auch versuchten die Franzosen, sich gegen das „Abkupfern“ ihrer Stiche zu wehren. Doch das ließen die Weimarer nicht gelten: Als Nachdruck erkannten sie lediglich eine „unveränderte Wiederveröffentlichung in der Originalsprache“ (S. 44) an. Natürlich wollte Bertuch das nie, hätte es doch den Kreis möglicher Käufer reduziert. Und so orientierte man sich an französischen Vorlagen, baute gelegentlich kleine Änderungen ein, neue Schoßhündchen etwa oder einen zur anderen Seite geneigten Kopf. Wichtig war aber der internationale Erfolg, deshalb kooperierte man mit Vertragsbuchhandlungen in Kopenhagen, Riga, Sankt Petersburg, Straßburg, Winterthur oder Zürich.

Zwiespältig lesen sich zeitgenössische Urteile über diese Zeitschrift. Verblüfft nimmt man zur Kenntnis, dass der besonnene Wieland unterschiedliche Einschätzungen vertrat. Befand er noch 1787 brieflich gegenüber Johann Ludwig Wilhelm Gleim: „Ich habe ein Weib und Sechs Töchter, die das Mode J[ournal] lesen, und mich seinethalben noch keinen Dreyer gekostet haben; und doch ists Friede in meinem Hause.“ (S. 58) Offenbar weckte das Blatt also en famille keine übermäßigen Verschwendungs-Gelüste, so beurteilte er 1802, das „Journal“ sei „auf die Eitelkeit, Frivolität und Anekdotensucht unsres Publikums fundiert“, kritisierte die Herausgeber mit den Worten: „Aber welcher Mann von Gefühl und Ehre wird von den Lastern und Thorheiten seines Zeitalters leben wollen?“ (S. 45) Johann Gottfried Herder kam 1803 zu dem Schluss, Modejournale seien schädlich, weil sie „durch stetsveränderten Aufwand den häuslichen Wohlstand untergraben, und wie sie das Gemüth eitel machen, so der Gesundheit, Moralität und aller bessern Zweckhaftigkeit schaden.“ (S. 58) Der Begriff „Luxus“ wirkte als Reizwort und sollte wohl auch provozieren, um Aufmerksamkeit zu erzielen.

Kritiker monierten, das „Journal“ befördere ein „Laster der Eitelkeit“, wollten die Zeitschrift sogar verbieten lassen und zielten vor allem auf Leserinnen. Dabei legten die Herausgeber Wert auf einen moderaten Umgang mit ihren Anregungen: „Kleiden Sie sich geschmackvoll, anständig und für Ihre Jahre und Verhältnisse passend, und ich stehe Ihnen dafür Sie werden gefallen, wenn die Hand der Göttin Mode Sie auch nicht eingeseegnet, und Paris auch nicht Ihren Schneider, Ihren Friseur, oder Ihre Putzmacherin gebildet hat.“ (S. 63) Verbots-Forderungen aus pseudo-moralischen Gründen fanden empörte Leser und Leserinnen natürlich lächerlich. Dazu ein Leserbrief von 1792: „Ueberhaupt ist es (…) ungerecht uns Weibern das Moden-Journal nehmen zu wollen, weil sich hier und da ein eitles Mädchen daraus putzt! Was würden die Herren Männer wohl sagen, wenn wir verlangen wollten, daß alle Weinfässer und Weinbouteillen zerschlagen würden, weil sich schon so mancher Mann um seinen Verstand und Vermögen getrunken hat?“ (S. 63)

Um ästhetische und Aspekte der Zweckmäßigkeit ging es Bertuch zunächst. Nicht zufällig ist von „Moden“ die Rede. Er wollte, schreibt Barbara Steingießer, mit seinem „Journal“ die heimische und Wirtschaft der deutschen Länder in Konkurrenz zu den französischen Angeboten stärken und vor allem das Kunsthandwerk, wie er ja auch eine Manufaktur für künstliche Seidenblumen gegründet hatte. Auch Christiane Vulpius arbeitete dort vor der Begegnung mit Goethe. Firmen im deutschen Sprachraum sollten ertüchtigt werden durch Anregungen, um bürgerliche und Kunden aus adeligen Kreisen zu gewinnen. Ein Gegenprogramm zu Merkantilismus oder auch Colbertismus des absolutistischen Frankreich unter Ludwig XIV., geprägt durch seinen Wirtschafts- und Finanzexperten Jean-Baptiste Colbert, um eine aktive Handelsbilanz zu erzielen. Nicht der „Dernier cri“ sollte hier propagiert werden, man wollte Pariser Verlockungen modischer Art entgegenwirken.

Bis heute beliebt: eine Uhr für die Nacht – sie konnte im Dunkel die Zeitanzeige an die Wand projizieren (S. 217)

Salopp gesagt propagiert Bertuch also auch wirtschaftspolitische Prinzipien. Als Beispiel führt er in seinem „Journal“ 1793 „den Fall einer reichen und großen Residenz-Stadt an, wo theils der Hof theils ihre Großen jährlich beträchtliche Summen, für Equipagen, Stickerey, Modewaaren, Spiegel, geschmackvolle Meubles, Stahl und Lederarbeiten, Porcellan, Glaswaare, Silberwerk, Nippes, Tapeten, Kunst werke u.d.m. für baares Geld aus England oder Frankreich kommen lassen, ohngeachtet die Stadt selbst Künstler, Fabrikanten und Handwerker von mancherley Art hat.“ (S. 62) Bertuch will Anstöße geben, weil deutschen Kunsthandwerkern „guter Geschmack, schöne Formen und gute Materialien fehlen.“ (S. 62) Seine Ratschläge kommen uns heute vor wie ein vorweggenommenes Programm des Bauhauses: „Ein Meuble muß einfach und schön von Form, bequem und zweckmäßig zum Gebrauch, dauerhaft und gearbeitet, und gut von Materie seyn, wenn man es für vollkommen er kennen soll. (…) Nach dieser Theorie ist also ein gewöhnlicher Stuhl am vollkommensten, wenn sein Körper, d. i. sein Sitz mit den vier Beinen, so viel als möglich, einen Cubus, oder Würfel macht.“ (S. 62) Ästhetische Schulung soll hier als Wirtschaftsfaktor dienen.

Wie modern und letztlich sogar an Ideen der Menschenrechte orientiert das „Journal“ sich geistig vorwagte, konnte man 1789 als Appell von Frauen an den französischen Reichstag lesen: „Warum macht man denn noch einen Unterschied in Absicht auf die beyden Geschlechter, und verweigert dem unsrigen Sitz und Stimme? Auch wir haben Anspruch auf menschliche und gesellschaftliche Rechte; auch Weiber sind Menschen, auch sie sind rechtmäßige Kinder des Vaterlandes.“ (S. 82)

In der Ausstellung waren vor allem Möbel und Kleidungsstücke, auch Uhren, Bilder, Porzellan mit „Werther“-Szenen oder Spielkarten mit Motiven aus Schillers „Räubern“ zu sehen, Originale und nach Ideen des Journals gefertigte moderne Versionen oder auch vergrößerte Abbildungen aus dem Journal. Sie zeigen, dass Bertuchs Vorschläge auf fruchtbaren Boden fielen. Der Katalog ergänzt diese Offerte um Hintergründe und eine wissenschaftliche Einordnung. Leider sind solche Präsentationen in Museen immer nur über einen begrenzten Zeitraum verfügbar, denn trotz des reichen Fundus der Kippenbergschen Sammlung hatte Barbara Steingießer auch Leihgaben einbezogen, die einmal mehr belegten, wie weit das kommunikative Netz traditioneller Mode und modernen Designs gespannt war. Daher ist es verdienstvoll, dass jetzt eine fundierte und mit Fakten und Forschungsergebnissen untermauerte Darstellung von Bertuchs „Journal des Luxus und der Moden“ vorliegt.

Barbara Steingießer (Hrsg.)
Luxus & Lifestyle. Weimar und die weite Welt – Das „Journal des Luxus und der Moden“ (1786–1827)

Düsseldorf 2022
Hardcover, 264 Seiten
ISBN 978-3-982061146

Preis: 30,00 €


Schlagwörter