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Goethe weltweit, Neue Bücher

Was verbindet das georgische Kutaissi mit Weimar? Zum Erscheinen eines neuen Bandes in der Schriftenreihe der dortigen Goethe-Gesellschaft

von Jochen Golz

Seit langem besteht eine enge Verbindung zwischen der Goethe-Gesellschaft in Kutaissi, zu deren Mitgliedern vor allem Germanisten der Akaki-Zereteli Universität gehören, und der Goethe-Gesellschaft in Weimar. Inauguriert und unermüdlich gefördert von der dort lehrenden Professorin Nanuli Kakauridze, unserem Ehrenmitglied, hat sich über die Jahre hin ein intensiver geistiger Austausch entwickelt, von dem auch der vorliegende Band – Ergebnis einer Konferenz wie die vorangehenden Bände auch – Zeugnis ablegt. Denn allein drei Beiträge hätten nicht entstehen können, wenn nicht deren Autorinnen zuvor als Werner-Keller-Stipendiatinnen zu Forschungsaufenthalten in Weimar geweilt hätten. Was Tinatin Letodiani zur symbolischen Bedeutung einiger ‚objektiver Korrelate‘ in der „Blechtrommel“ von Günter Grass, Natia Nasaridze über die Struktur desselben Romans im evangelischen Kontext ermittelt hat, beruht unmittelbar auf Studien in Weimar. Während erstere als dankbaren Gegenstand der Erörterung sich z. B. den Röcken der Großmutter widmet, spürt letztere der ‚evangelischen Triade‘ von Glaube, Liebe und Hoffnung nach und legt damit eine Bezugsschicht frei, die für sie den „thematischen Kern des Romans“ (S. 92) ausmacht. Den Schluss des Bandes bildet eine Studie von Natia Tcholadze, die sich den „Modulationen der abstrakten Thema-Motive im ‚Zauberberg‘“ widmet und sich durch Beobachtungen zur musikalischen Struktur des Romans auszeichnet. Herauszuheben ist, dass alle Beiträge des Bandes auf Deutsch geschrieben worden sind – allein dies ist schon bemerkenswert. Die Tücken liegen dann zuweilen im Detail, vielleicht auch in der Affinität zu ‚falschen Freunden‘ beim schwierigen Geschäft des Schreibens in einer fremden Sprache. Das von Franz Schubert in seiner „Winterreise“ vertonte Gedicht von Wilhelm Müller heißt „Der Lindenbaum“, nicht „Die abgeblühte Linde“; auch spricht man in der Musikwissenschaft von Sonaten, nicht aber von „Sonetten“ (dieser Fehler ist auch im Beitrag über Beethovens Messen zu finden).

Es versteht sich von selbst, dass der Schwerpunkt eines Germanistikstudiums an einer georgischen Universität im Erlernen der fremden Sprache liegt. Dass dieser enorm wichtige praktische Spracherwerb wissenschaftliche Reflexion nicht ausschließt, bezeugen die Beiträge aus der Feder von Sprachwissenschaftlern, ob sie sich der „Rolle der Modalverben bei der Höflichkeitsäußerung“, „Aspekten der Sprachmanipulation“, der „Verwendung des definiten und indefiniten Artikels“ oder „Interferenzfehlern bei der Übersetzung der Substantive aus dem Georgischen ins Deutsche“ zuwenden – dies alles stets im unmittelbaren Bezug auf die aktuelle deutsche und internationale Forschung. Von geradezu handgreiflicher Aktualität – zumal für deutsche Eltern – ist der Beitrag von Ramaz Svanidze über „Unterrichtsformen im diskursiven Vergleich“. Ebenso sachlich wie substantiell wird man über das Problem ‚Frontalunterricht und/oder offener Unterricht‘ informiert, ohne dass energisch für eine der beiden Methoden Partei ergriffen wird.Angemessen ist im vorliegenden Band auch die Literaturwissenschaft repräsentiert. Ekaterine Horn widmet sich Goethes Aufsatz „Von Arabesken“, 1789 als Reflex der Italienreise veröffentlicht und eine Debatte vorwegnehmend, die dann vor allem, wie Horn nachweist, die deutsche Romantik beschäftigt hat; Goethes Haltung sei „schwankend, zwiespältig und ambivalent“ (S. 43) gewesen. Nanuli Kakauridze widmet sich der Konstellation „Gotthold Ephraim Lessing versus Denis Diderot“ und arbeitet überzeugend beider teils kontrastive, teils übereinstimmende Bemühungen um eine „Demokratisierung der Dramaturgie“ (S. 49) heraus. Den deutschen Sprachbereich verlässt die Studie von Baja Koguashvili, die sich dem „Poetischen Drama“ widmet und seine Beispiele vor allem in der englischen Literatur – allen voran bei T. S. Eliot – ausfindig macht.

Bagrati-Kathedrale Kutaissi (Bildnachweis: Wikipedia/Roberto Strauss)

Besondere Aufmerksamkeit des an Goethe Interessierten zieht der Beitrag von Nugescha Gagnidse über „Georgische Übersetzungen von Goethes ‚Werther‘“ auf sich, verbirgt sich dahinter doch nichts weniger als eine knappe Politik- und Kulturgeschichte des im Laufe des 20. Jahrhunderts schwergeprüften Georgiens, gespiegelt in den Schicksalen der Übersetzer. Zu Beginn des Jahrhunderts, als im zaristischen Russland der „Kampf für die verbotene georgische Sprache“ (S. 23) ausgetragen wurde, erschien die Übersetzung von Jason Bakradse – einem prominenten adligen Politiker, der zugleich Jurist und Mäzen war –, die 2020 als Nachdruck erschienen ist. Bakradse fiel 1937 den stalinistischen ‚Säuberungen‘ zum Opfer. 1928 kam die Übersetzung des Dichters Konstantine Gamsachurdia heraus, der sich auch in Essays und in eigener Prosa mit Goethe auseinandergesetzt hat. War die erste Übersetzung, so das Urteil von Gagnidse, näher am Original, so zeichnet sich die zweite durch größere sprachliche Schönheit aus. Am ehesten adäquat sei die 1983 erschienene Übersetzung des Germanisten Otar Chuzischwili. Dieser instruktiven Überblicksdarstellung schließen sich Proben aus allen drei Übersetzungen sowie Reflexionen der Autorin über die Kunst des Übersetzens an, die auf Goethes entsprechende Äußerungen in den „Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des west-östlichen Divans“ Bezug nehmen.

All das hier Geschilderte steht letztlich im Zeichen einer „interkulturellen Kommunikation“, zu der von Miranda Gobiani und Guranda Gobiani „sieben Fragen“ gestellt und beantwortet werden. Im Mittelpunkt ihrer Antworten steht das „Was“ und „Wie“ interkultureller Bildung und Kompetenz; ihre Darlegungen erweisen sich als konzise Bündelungen der aktuellen internationalen Debatte. Generelles Ziel dieser Kommunikation sei „das Akzeptieren des Anderen“ (S. 33). Am Schluss heißt es dann (S. 37): „Der wichtigste Aspekt ist: Man ist nur ein kleiner Teil der Welt, in der alle gleichberechtigt sind bzw. sein sollten. Die kulturellen Unterschiede sind die verschiedenen Farben der Gesellschaft, die die Welt nur schöner und vielfältiger machen. – Fähig zu sein, mit kulturellen Unterschieden wertschätzend umzugehen und interkulturelle Kommunikation reibungslos zu führen, ist die größte Herausforderung der modernen Gesellschaft.“Über den Abgrund der Zeiten und einer stark veränderten Sprachgebung hinweg hätte auch der Namenspatron unserer Gesellschaft diesem Schluss seinen Beifall nicht versagt.

Hrsg. von Nanuli Kakauridze und Maxi Bornmann
Goethe-Tage 2020, Bd. 13

Ortsvereinigung Kutaissi der Internationalen Goethe-Gesellschaft in Weimar e. V., Kutaissi 2020

ISBN: 978-9941-459-37-5

Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter der Goethe-Gesellschaft, Ausgabe 1/2021.


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