Blog
Dolmetscher, die sich selbst bereichern – die Goldenen Goethe-Medaillen wurden verliehen
„Goethe international. Seine Rezeption und Wirkung jenseits der deutschen Grenzen“, unter diesem Thema stand die 88. Hauptversammlung unserer Gesellschaft. Traditionsgemäß werden aus diesem Anlass in der festlichen Eröffnung Persönlichkeiten mit unserer höchsten Auszeichnung geehrt, die sich um die Erforschung von Goethes Leben und Werk besonders verdient gemacht haben.
Es versteht sich beinahe von selbst, dass in diesem Jahr unsere Auszeichnung drei Übersetzern zugefallen ist. „Denn“, so Goethe in seinem Brief an Thomas Carlyle vom 20. Juli 1827, „was man auch von der Unzulänglichkeit des Übersetzens sagen mag, so ist und bleibt es doch eins der wichtigsten und würdigsten Geschäfte in dem allgemeinen Weltwesen.“ Und mein (leicht abgewandeltes) Titelzitat noch einmal leicht abwandelnd könnte man sagen, dass der als „Dolmetscher“ firmierende Übersetzer nicht nur sich, sondern auch sein Publikum und uns mehr oder weniger weit entfernte Teilhaber bereichert.
Aus der reichen Zahl von Goethe-Übersetzern eine Auswahl zu treffen, fiel dem Vorstand unserer Gesellschaft nicht leicht. Am Ende fiel sie auf Helena Cortés Gabaudan, Germanistikprofessorin an der spanischen Universität Vigo, Marcus Mazzari, Professor für Komparatistik an der Universität von Sao Paulo in Brasilien, und auf Maoping Wei, Professor für Germanistik an der Shanghai International Studies University. Was bei allen drei Ausgezeichneten ins Auge springt, ist der Umstand, dass sie in gleichem Maße über wissenschaftliche Kompetenz wie über exzellente Sprachkraft verfügen – eine im deutschen Sprachraum selten anzutreffende Kombination, wo das Geschäft des Übersetzens in der Regel entweder von frei arbeitenden Intellektuellen oder nicht selten auch von kunstsinnigen Diplomaten betrieben wurde und betrieben wird. Von Vigo, Sao Paulo oder Shanghai aus können Impulse auf das geistige Leben des jeweiligen Landes ausgehen. Eine zweite Beobachtung ist am Platze. Mit Bewunderung und auch leiser Beschämung registriert der deutsche Germanist, dass in allen drei Ländern deutsche Autoren übersetzt werden, die sich in ihren deutschsprachigen Heimatländern keineswegs mehr großer Aufmerksamkeit erfreuen. Wer liest noch Chamisso, wer Gottfried Keller, Wilhelm Raabe oder Jeremias Gotthelf. Da kann es trostvoll sein, dass Goethe und Brecht zu den Favoriten im internationalen Übersetzergeschäft gehören.
Übersetzen ist eine langwierige und mühselige Auseinandersetzung mit einem fremden Text, der sich in den Augen des Übersetzers zu einem eigenen verwandelt. Es ist darum besonders anzuerkennen, dass die von uns ausgezeichneten Persönlichkeiten nicht nur ein reiches übersetzerisches Werk vorgelegt, sondern sich auch als erfolgreiche Hochschullehrer mit entsprechenden Publikationen hervorgetan haben. Ein herausragendes Verdienst kommt überdies Professor Maoping Wei zu. Unter seiner Leitung entsteht ein herkulisch anmutendes Übersetzungswerk, die Übertragung sämtlicher in der Frankfurter Ausgabe versammelten Texte Goethes ins Chinesische. Etwa hundert Übersetzer sind daran unter Professor Weis Leitung beteiligt. Wer von der Spezifik der chinesischen Sprache nur eine winzige Ahnung hat, wird verstehen, dass am Anfang der Arbeit sinnvollerweise die Übertragung der Registerbände mit ihren Angaben zu Personen stand, denn allein deren Transkription stellt eine spezielle Herausforderung dar; so aber wurde eine verlässliche Basis für die Anfertigung von Texten und Kommentaren geschaffen. In den Reden der Laudatoren und in den Dankesworten der Geehrten entstand ein lebendiges Bild von den Schönheiten und Schwierigkeiten des Übersetzens.
Eine sinnvolle Ergänzung fand die Ehrung in dem unsere Hauptversammlung beschließenden Podium „Wundersame Spiegelungen. Goethe-Übersetzer im Gespräch“, zu dem sich in der Moderation von Anne Bohnenkamp-Renken die drei Ausgezeichneten zusammenfanden. Schöner und eindrucksvoller konnte nicht vor Augen geführt werden, welche in jeder Sprache spezifischen Probleme das Übersetzen bereitet, welchen Reichtum es aber auch dem Übersetzer und seinem dankbaren Publikum spendet.