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Natur verstehen, nutzen und erhalten – Steffen Schmidt sprach über Novalis in Düsseldorf  

von Andreas Rumler

Goethes pointiertes Bonmot: „Das Klassische nenne ich das Gesunde und das Romantische das Kranke“ – von Eckermann überliefert –, lässt sich so arg pauschal nicht halten. Zuletzt haben das Verständnis Rüdiger Görner, Stefan Matuschek und Helmut Schanze, um nur einige der neueren Darstellungen zu nennen, ins rechte Licht gerückt. Gemeinsam ist ihnen und anderen, dass im Register immer wieder, als einer der am häufigsten genannten Namen, der Goethes auftaucht. Grund genug also für Professor Dr. Christof Wingertszahn, Dr. Steffen Schmidt in sein Museum im Schloss Jägerhof einzuladen, denn der leitet die Forschungsstätte Frühromantik und das Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt in Arnstein im Landkreis Mansfeld-Südharz in Sachsen-Anhalt.

„Wege wagen mit Novalis“ hatte Steffen Schmidt seinen Vortrag überschrieben. Novalis erlebte vielfältige Umbrüche: vor allem die Französische Revolution. Zusammen mit seinen Freunden unter den Romantikern entwickelte er anregende, oft provozierende und zunächst unverstandene Ideen, vielfach reichen sie bis in die Gegenwart hinein. Zentrale dichterische und philosophische Innovationen dieser Ideenschmiede junger Genies sollten „in ihrem Entstehungszusammenhang und Fortwirken“ dargestellt werden, las man in der Ankündigung. Da „Wege wagen mit Novalis“ zugleich der Name der Novalis-Stiftung ist, sie fördert die Forschungsstätte für Frühromantik und das Novalis-Museum, steht der Titel programmatisch für sämtliche Ausstellungen und Veranstaltungen im Geburtshaus von Novalis.

Eigentlich lautete sein Taufname Georg Philipp Friedrich von Hardenberg, Novalis als Pseudonym wählte er nach einem alten Beinamen seiner Familie: De novali, die „vom Neuland“. Ausführlich ging Steffen Schmidt auf die schwierige, aber nicht unglückliche Kindheit mit einem recht pietistischen Vater ein. Der Knabe erhielt eine sorgfältige und vielseitige Ausbildung, studierte zunächst Jura in Jena, dann in Leipzig und Wittenberg, später Montanwissenschaften.

Er sah Möglichkeiten, die Natur zu nutzen, legte aber Wert darauf, sie nachhaltig zu bewirtschaften, nicht auszubeuten, zu schädigen oder gar zu zerstören. Unweit von Schloss Jägerhof und dem idyllischen Hofgarten liegen die rheinischen Tagebaue Garzweiler und Inden. Eine Verwüstung ganzer Landstriche und ihrer Kultur wie dort oder Abholzungen von Wäldern wie in Hambach und auch den Regionen in der früheren DDR wäre Goethe, Schiller oder Novalis nie in den Sinn gekommen. Ihnen ging es darum, Natur zu verstehen und zu erhalten, während man sie nutzen kann, ohne ihr Wachstum und die Bürger zu schädigen. 

Seine Ästhetik war nicht an der Nachahmung der Natur orientiert, sondern baute auf die „Einbildungskraft“. Sie sei „der wunderbare Sinn, der uns alle Sinne ersetzen kann und der so sehr schon in unserer Willkür steht“. Selbst wissenschaftlich engagiert und akademisch gebildet, formulierte Novalis in seinen Fragmenten: „Der Poet versteht die Natur besser wie der wissenschaftliche Kopf.“ Moderne Entwicklungen zielen darauf ab, beide Disziplinen wieder zu verbinden, was leider über Jahrzehnte vernachlässigt wurde. Aber bereits an diesem Aspekt wird deutlich, warum Steffen Schmidt das „Fortwirken“ der Ideen der Romantiker als Gewinn verbuchen kann.

Interessant schwankt das Charakterbild, das Novalis von Goethe gewann, im Lauf seines kurzen Lebens und der Literaturgeschichte. Hatte er den Weimarer noch in den „Blütenstaub“-Fragmenten als „wahren Statthalter des poetischen Geistes auf Erden“ gefeiert, so wich diese stürmische Anerkennung und Verehrung einer nüchterneren Einschätzung. Die „Lehrjahre“ galten ihm bald als „fatales und albernes Buch“, seinen „Heinrich von Ofterdingen“ konzipierte er als eine Art romantischen Gegenentwurf. Kühn befand Novalis: „Goethe wird und muss übertroffen werden“.

Begeisterung vermag anzustecken. Das erlebten die Zuhörer. Ganz offenbar war Steffen Schmidt in seinem Element. Frei sprach er sich fast ein wenig selbst in Rage, ohne Manuskript, und baute völlig zu Recht darauf, dass sein Vortrag die Zuhörer mitriss. Das gelang ihm überzeugend.

Schade nur, dass keine Bücher angeboten wurden – den Vorsatz, bald wieder Novalis zu lesen, hörte man in verschiedenen Gruppen der Tischrunden bei Wein und Brezeln im Anschluss.


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