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Happy End mit … Hämorrhoiden – Charles Lewinskys Goethe-Roman „Rauch und Schall“

von Andreas Rumler

Originell ist die Idee: Goethe erleidet eine Schreibblockade, just als wieder die Geburtstagsfeier der Herzogin ansteht und er in bewährter Weise erneut ein Gelegenheitsgedicht zum Festspiel liefern soll. Hübsch liest sich auch der Einfall des Einstiegs: Goethe kehrt von einer seiner Schweizer Reisen zurück. Dabei lernt er einen Schauspieler auf der Suche nach einem Engagement kennen. Der vermag freilich nicht zu ahnen, der neue Bekannte könne der ideale Ansprechpartner in seiner Not sein. Durch die Marotte, laufend Klassiker mit Verweis auf den Autor anzuführen, wird er dem Theaterdirektor Goethe mehr als lästig, nicht erst, als er „Torquato Tasso“ zitiert. Goethe zieht es vor, sein Inkognito zu wahren. Dieser Anfang lässt auf eine amüsante Fortsetzung hoffen.

Für sein breit gefächertes Œuvre ist Charles Lewinsky bekannt. Wer seine Romane „Der Halbbart“ (2020), „Gerron“ (2011) und „Melnitz“ (2006) oder andere seiner Werke gelesen hat, durfte mit Recht gespannt sein, was Lewinsky zu dem Dichterfürsten einfallen könnte. Neben ambitionierten Werken hat Lewinsky auch leichtfüßiger angelegte Texte veröffentlicht wie: „Falscher Mao, echter Goethe. 48 Glossen über Bücher und Büchermacher“ (2012).

Konkret zu „Rauch und Schall“: In Weimar warten Christiane und August auf Goethe, leider auch die amtliche Erinnerung, rechtzeitig vor dem Geburtstag das bestellte Epos zur Feier zu liefern. Dass er die Fähigkeiten der adeligen Darsteller kennt, macht die Sache nicht leichter. Im Gegenteil. In dieser Notlage bietet Schwager Christian August Vulpius seine Hilfe an, den Goethe zutiefst verachtet – zumindest hier bei Lewinsky. Während Goethe angesichts der Aufgabe verzweifelt, liefert der von Cotta als „Romanfabrik“ bezeichnete Erfolgsautor in wenigen Stunden ein vielleicht nicht für die Ewigkeit, aber doch für diesen Zweck geeignetes Epos. Zur Zufriedenheit aller Beteiligten wird es aufgeführt und anerkennend gewürdigt. Auch ein weiteres Gedicht, Verse mit denen – als eigene, versteht sich! – Carl August Caroline Jagemann beeindrucken will, liefert Vulpius. Mit einer kleinen Erzählung darüber hätte man es bewenden lassen können.

Charles Lewinsky erfinde sich „mit jedem Buch neu – und diesmal auch gleich noch den großen Kollegen Goethe“ wirbt der Verlag im Klappentext. Das stimmt. So kannte man Goethe bislang nicht. Charles Lewinsky macht ausgiebig von seiner dichterischen Freiheit Gebrauch. Es entwickelt sich ein heftiger Wettstreit zwischen den Schwägern, bei dem von vornherein das Verhältnis klar ist. Fast ist man an „Faust“ erinnert und hört Vulpius murmeln: „Von Zeit zu Zeit seh‘ ich den Alten gern und hüte mich, mit ihm zu brechen.“

Ausführlich wird Goethes Ehe geschildert. „Des geschaukelten Betts lieblicher knarrender Ton“ wird bei Charles Lewinsky ein Leitmotiv: „Der Schlossermeister Spangenberg, das war das Geheimnis, das die beiden miteinander teilten, hatte schon zweimal ihr gemeinsames Bett reparieren müssen, weil es sich für die nächtlichen Exerzitien, die sie, suaviter in modo, fortiter in res, so gern pflegten, als nicht ausreichend stoßfest erwiesen hatte. Beim letzten Mal hatte er sechs paar zerbrochene Bänder in Rechnung gestellt, eine Faktur, die Goethe mit Stolz beglichen hatte, ‚denn‘, hatte er zu Christianen (sic!) gesagt‚ jedes dieser Bänder ist ein Ordensband für meine Männlichkeit.‘“ (S. 74-75) Bald darauf lässt er Goethe mit dem Hinweis auf Reparaturen ein Schäferstündchen einleiten: „Ich finde, wir sollten dem armen Mann bald mal wieder etwas zu verdienen geben.“ (S. 204) Wenig später: „um das Einkommen des Schlossermeisters Spangenberg hatten sie sich schon wieder ausführlich gekümmert.“ (S. 250) Und erneut wird gegen Ende an „Spangenbergs Werke“ (S. 275) erinnert.

Weil die Schreibblockade anhält, rät Vulpius, zu Therapiezwecken einfach ohne Skrupel loszuschreiben: „etwas, das nie jemand lesen soll“ wie „eine Räuberpistole mit viel Abenteuern und Liebe.“ (S. 193) Goethe folgt dieser Anregung und überwindet seine Hemmnisse. Will das Werk, weil es seinen Zweck erfüllt hat, verbrennen. Dazu kommt es nicht, ein Verleger entdeckt das Manuskript bei Vulpius und kauft es. Das Buch wird ein Erfolg, macht Vulpius zwar nicht reich, aber bekannt.

Der Schwindel fliegt auf, als Carl August es vom Autor signiert haben möchte und Goethe bittet, das von seinem Schwager erledigen zu lassen. Goethe erkennt seinen Text sofort. Als beide, nicht mehr nüchtern nach Gelagen im Schloss und im „Elephant“ aufeinandertreffen, folgt ein handgreiflicher Showdown auf dem Marktplatz. Vulpius trägt ein blaues Auge davon, ein Veilchen. An ihren Mänteln wird man später erkennen, dass sie im Straßenstaub miteinander gerungen haben müssen. Doch es kommt angesichts des Nachtwächters trotz nächtlicher Ruhestörung zum Waffenstillstand und Happy End. Vulpius stützt den geschwächten Dichterfürsten auf dem kurzen Weg zum Frauenplan.

Etwas mühsam macht die Lektüre, dass Charles Lewinsky ein Faible für antiquierte, manierierte Formulierungen entwickelt. So ist von „Christianen“ die Rede, einem „Pistol“, einem „Parasol“ oder einem „Retikül“. Zahlreiche lateinische Zitate, kursiv gesetzt, fördern den Lese-Fluss ebenfalls nicht. Bei manchen geschachtelt ausufernden Satzkaskaden kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, der Autor habe sich an Vulpius und dessen „Romanfabrik“ orientiert. Beeindruckend bleibt, dass Goethe knapp 200 Jahre nach seinem Tod noch immer Schriftsteller animiert, über ihn belletristische Werke zu verfassen. Lewinsky hat er zu einer Glosse oder Groteske angeregt, mit etwas gutem Willen mag sie als Satire über Dichter und Dichtung oder den literarischen Markt durchgehen.

Während seiner Schreibtherapie lässt Lewinsky Goethe darüber nachdenken „die Anfänge berühmter Romane“ zu sammeln: „Die verschiedenen Arten von ersten Worten miteinander vergleichen.“ (S. 195) Eine interessante Anregung. Lewinskys Erzählung beginnt mit den Worten: „Goethe hatte Hämorrhoiden.“ (S. 7) Doch zum guten Schluss bessert sich auch diese Malaise. Der letzte Satz lautet: „seine Hämorrhoiden waren auch kaum mehr zu spüren.“ (S. 296) Erleichtert legt man das Buch zur Seite.

(c) Diogenes

Charles Lewinsky
Rauch und Schall

Zürich 2023
304 Seiten
ISBN 978-3-257-07259-4

Preis: 25,00 €


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