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Goethes Gartenhaus im koreanischen Goethe-Dorf
Goethes Gartenhaus in Weimar wurde in Südkorea nachgebaut, auf dem Gelände vom „Yeobaek Haus der Bücher und Goethe-Dorf“, das etwa hundert Kilometer südöstlich von Seoul liegt. Das neue Gartenhaus wurde am 24. Oktober 2024 feierlich eröffnet.
Goethes Gartenhaus in Yeoju ist das zweite Gebäude des noch entstehenden Goethe-Dorfes, in dem einige Goethe-bezogene Gebäude in Deutschland, teils originalgetreu, teils um einiges verkleinert, teils neugestaltet und mit eigenem Schwerpunkt nachgebaut werden. Ob dieser Plan vollständig realisiert werden kann, bleibt noch eine große Frage, aber das Grundstück dafür steht zur Verfügung und das Fundament für weitere Gebäude ist schon gesetzt.
Goethes Gartenhaus in Yeoju ist zweistöckig und hat einen ziemlich großen Dachboden ㅡ originalgetreu nachgebaut wurde sogar die Pergola an der Hauswand für die Rankenpflanzen (Rosen, Weintrauben und Geißblatt). Es gibt gewisse absichtliche Abweichungen vom Original, beispielsweise sind die Fenster größer als bei der Originalversion. Mit den heute möglichen, besser isolierten Fenstern lässt sich die schöne Aussicht nach draußen vergrößern. Und diese Aussicht loht sich; Rundum ist Wald!
Im Dachboden aus duftendem Holz befinden sich angenehme Nischen. Das Holzdach des Originals ist schwer zu pflegen, daher wurde darauf verzichtet. Die strikte originalgetreue Nachbildung war hier nicht die Absicht. Denn es handelt sich nicht um ein Museum. Der Schwerpunkt richtet sich auf die besondere inhaltliche Nutzung der Räume in Zukunft. Im Erdgeschoß ist ein Musikzimmer, dessen Boden im altkoreanischen Stil gestaltet ist, der die Nutzung der Stühle unnötig macht. Hier bieten sich Veranstaltungen wie kleine Konzerte oder Kammermusik an. Die Rückwand ist vorgesehen für Piranesis Bild von der Piazza del Popolo, die Bilddatei hierzu wurde eben von der Casa di Goethe geholt. Der erste Stock besteht wie im Originalhaus von Goethe aus vier Zimmern: Goethes Sattelstuhl und das Pult für das erste der Vorderzimmer sind noch in Arbeit. Dafür wurden deren Originalmaße aus Weimar eingeholt. In jedem Zimmer liegen auf dem Tisch die Texte in koreanischer Übersetzung, die Goethe in seinem Gartenhaus schrieb, z. B. „Erlkönig“, „An den Mond“, „Iphigenie“ oder „Egmont“, die beiden letzten noch als Manuskript wie die Originale damals. So wird veranschaulicht, wie Goethe den Grundstein zu seiner schriftstellerischen Laufbahn und seiner Existenz in seinen ersten Weimarer Jahren legte.
An den Wänden hängen Ausdrucke von Goethes Zeichnungen aus der Zeit: Mondnächte und eine Gartenaus-Zeichnung. Und im zweiten Vorderzimmer steht ein besonderer Schrank, der speziell zur Aufbewahrung der Briefe für längere Zeit dienen soll. Die Besucher, die schon das Yeobaek Haus der Bücher und das Haus des jungen Goethe besucht haben, auf dem Goethe-Pfad gewandert sind, und auch die anderen Einrichtungen und den Garten genossen haben, sollen schließlich hier im Ambiente Goethes die Gelegenheit haben, sich über sich und die eignen Pläne Gedanken zu machen. Deshalb können sie einen Brief schreiben und an sich selbst adressieren. Die geschriebenen, und gesiegelten Briefe werden zehn Jahre in dem Schrank aufbewahrt und können dann persönlich abgeholt oder per Post zugeschickt werden, wenn die Adresse noch gültig ist.
Eine Schulgruppe aus Freiburg i. Br. kam ebenfalls auf ihrer Bildungsreise an den Ort, und jeder hat seinen Brief nun dort aufbewahrt. Auch die in Korea lebenden deutschen Schüler kamen, hörten einen Vortrag und pflanzten zusätzlich einen Baum. Eine koreanische Gruppe mit autistischen Menschen kam, schrieb ebenfalls Briefe und hatte sich danach erstaunlich geöffnet: Eine herzliche Gesprächsrunde fand im Musikzimmer statt.
Auf diese Weise will die Stifterin den Besuchern mitten im hektischen Leben heutzutage einen Moment des Atemholens und der Selbstreflexion schenken. Es geht ihr vielleicht mehr darum als um Goethe selbst. Die Fragen, die sich in dem Zusammenhang formulieren, lauten vielleicht: Inwieweit kann man sich entwickeln? Wie hat sich jemand wie Goethe gebildet? Goethe kann hierbei als ein Musterbeispiel dafür vorgestellt werden. Oder: ein Modell einer physischen Antwort auf die zwei abstrakten Fragen.
Goethes Gartenhaus wurde als das zweite Gebäude im Goethe-Dorf errichtet, in der inhaltlichen Reihenfolge des Plans aber wäre es das letzte Haus des Dorfes geworden. Trotzdem steht es schon da – ungeachtet der eigentlichen Aussichtslosigkeit und dank der Hilfe der kleinen unerwarteten Spenden. Ob es zur kompletten Realisierung des Dorfes kommen wird, ist unsicher, steht noch in den Sternen. Das Gartenhaus ist bereits da, weil es für die Stifterin das Herzstück des Projekts ist. Das wollte sie unbedingt mit ihren eigenen Händen bauen.
Das Fundament vom Haupthaus im Goethe-Dorf ist schon vollständig gelegt, allerdings soll nur ein Teil des originalen Goethe-Wohnhauses in Weimar realisiert werden: Präsentationsräume, Arbeitszimmer, Sterbezimmer und – wenn möglich – Brückenzimmer. Diese Räume sollen verschiedene Aspekte aus Goethes Leben beleuchten. Dem eigentlichen Plan nach sollte dieses Haupthaus als das erste und einzige gebaut werden. Die Genehmigung hat aber zu lange gedauert, und es war gerade in der Pandemiezeit. Als die Genehmigung endlich da war, konnte man wegen der in der Pandemiezeit gestiegenen Preise nicht wagen, so ein großes Unternehmen in Gang zu bringen. Schade drum.
Andere kleinen Nebeneinrichtungen, wie beispielsweise ein kleines Labor für Farbenlehre-Experimente oder eine kleine Sternwarte, sind auf ihrem Platz alle mit farbigen Bändern markiert. Nach und nach werden sie in etwas verkleinerter Form hoffentlich umgesetzt. Ebenso soll ein Treibhaus entstehen, in dem 70 Pflanzen ihren Platz finden werden, die in der Metamorphose der Pflanze behandelt werden. Sie werden vielleicht nicht ganz komplett, aber sie sind vorgesehen.
Die Eröffnung des Gartenhauses Goethes wurde im kleinen Rahmen, zu dem ausschließlich die Spender eingeladen waren, schön gefeiert: Es gab eine Führung und im Musikzimmer hörten die Gäste einen Vortrag über die Vertonungen von Goethes Gedichten. Die Gäste waren darüber sehr glücklich, nicht nur Schuberts, sondern auch Carl Löwes Vertonungen zu hören. Und im Garten fand traditionelle koreanische Musik, Pansori, von einer Jungmeisterin statt. Das Konzert berührte das Publikum derart, dass sie sofort ein Stipendium für die Jungmeisterin organisiert haben. Und vier Gruppen lasen Faust, den West-östlichen Divan, Dichtung und Wahrheit und die Italienische Reise zusammen.
Es scheint mir, als ob auf diese Weise der Traum einer mittellosen Germanistin langsam Realität werden will. In großer Dankbarkeit setzt sie selbst die Arbeit an der koreanischen Goethe-Ausgabe aus einer Übersetzerhand forsch fort.