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Sinnsuche über 35 Stationen – das Deutsche Romantik-Museum ist eröffnet


Die an musealen Sehenswürdigkeiten gewiss nicht arme Bundesrepublik ist um ein neues Highlight reicher: Nach rund zehn Jahren intensiver Vorbereitung wurde nun direkt neben Goethes nach dem Krieg wieder neu errichtetem Elternhaus endlich das Deutsche Romantik-Museum eröffnet. Auch der Dichterfürst selbst, dessen Werk romantische Züge aufweist und den manche der Romantiker stolz als einen der Ihren reklamierten, erscheint dadurch in einem neuen Licht. Hier wird die deutschsprachige Romantik in eigenen Exponaten aus den Sammlungen des Freien Deutschen Hochstifts präsentiert. 

Durch diese ungewöhnliche Nachbarschaft ergibt sich fast automatisch ein äußerst anregender Dialog. Drei avantgardistische, neue Fassaden bilden mit der Front des historischen Goethe-Hauses eine Einheit. Moderne Architektur in reizvollem Kontrast zu der eleganten, aber auch gutbürgerlich-behäbigen Fassade des 18. Jahrhunderts. Beide Gebäude verbindet die erhaltene Brandmauer des historischen Hauses, in dem Goethe aufwuchs. Vielfältige authentische Zeugnisse der Romantiker: originale Manuskripte, Graphiken, Gemälde und Gebrauchsgegenstände korrespondieren mit der Ausstattung von Wohnräumen der besseren Gesellschaft, eine sozialhistorische Momentaufnahme im Vergleich mit dem Epochenpanorama einer literarischen Bewegung, die in ihrer Vielseitigkeit nicht leicht zu definieren ist.

Diesem Angebot entspricht eine äußerst anspruchsvolle, multimediale Präsentation der Objekte. Besucher erhalten so die Gelegenheit, sich interaktiv mit Ideen, Werken und Personen­konstellationen auseinanderzusetzen. Hineinhorchen und Herantasten kann man sich in und an eine Welt, die unser heutiges Leben und Denken, unsere Vorstellungen, weit stärker geprägt und beeinflusst hat, als wir dies heute wahrnehmen. „Wir suchen überall das Unbedingte und finden immer nur Dinge“, formulierte der Dichter Friedrich von Hardenberg (Novalis) einmal und diese als Fragment überlieferte Formel markiert das Selbstverständnis der Romantiker als Suchende, lässt erkennen, dass das Erstrebte nicht einfach zu erreichen ist. Ähnlich verhält es sich mit der Romantik selbst. Sie entzieht sich einer klaren Festlegung. 

Nur konsequent erscheint es deshalb, dass dieses neue Museum keinen Katalog anbietet, der das komplette Spektrum seiner Exponate dokumentiert und erläutert. Stattdessen darf man an den einzelnen Stationen Karten im DIN A6 Format einsammeln, auf denen Romantiker abgebildet sind, und ihre Ideen nachlesen. Diese Informationen gibt es dann auch wieder in Broschüren-Form zu den jeweiligen Themen. Auf dem Weg durch das Haus kann der Besucher selbst eine „Lernfahrt“ antreten, wie Ernst Bloch einst im Hinblick auf Goethes „Faust“ formulierte. Die Geschichten, die die unterschiedlichen Stationen erzählen, berühren, überschneiden und ergänzen einander. Sie zeigen, was Romantik alles sein kann: eine Epoche der Kulturgeschichte, ein ästhetisches Programm, eine Geisteshaltung oder einfach nur ein Gefühl.

Wer in den vergangenen Jahren mit Interesse die Berichterstattung über den Fortgang der Pläne, die Diskussion über die architektonischen Entwürfe und ihre Umsetzung, die Konzeption der Präsentation verfolgt hat, auch des Öfteren vor der Baustelle am Großen Hirschgraben stand, wird überrascht sein von der bunten Fülle und Reichhaltigkeit all dessen, was er zu sehen bekommt: Von den lichtgeschützt dargebotenen Originalmanuskripten bis hin zur angedeuteten Teestunde im Salon der Rahel Varnhagen in Berlin mit einem echten Porzellan-Service. Und er wird rasch merken, dass ihm jede weitere der 35 Stationen dieses Romantiker-Parcours andere Fragen stellt, neue Perspektiven eröffnet. Und genau das, dieses Erlebnis, diese Vagheit und Sinnsuche, dürfte den Romantikern gefallen haben. Und ihrem Nachbarn, dem jungen Goethe, wohl ebenso.    

Nähere Informationen finden Sie hier:
www.deutsches-romantik-museum.de

Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter der Goethe-Gesellschaft, Ausgabe 3/2021.


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