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Goethes entlaufene Lieder oder: Der populäre Kern der Klassik
Am 18. März findet die nächste Veranstaltung im Rahmen unserer Vortragsreihe statt. Prof. Dr. Andrea Polaschegg von der Universität Bonn wird unser Gast sein und zu ihrem Vortrag eine reichhaltige Auswahl an Hörbeispielen mitbringen. Sie spricht zu dem Thema: „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind…“. Goethes mobile Lieder.
Keine Gattung verbindet den Klassiker Goethe so eng mit der Populärkultur wie das Lied. Schon zu Lebzeiten erklangen seine Lieder in Wirtshäusern, wurden von Mädchen bei der Handarbeit geträllert, von Burschen beim Wandern angestimmt oder dienten geselligen Kreisen zur Kurzweil, während sie gleichzeitig von Schumann, Schubert, Liszt oder Beethoven in ästhetisch anspruchsvolle Kompositionen gekleidet wurden. Dabei stammen viele der bis heute bekanntesten Lieder Goethes aus größeren Werken, teils berühmten, teils längst vergessenen. Sei es der „Erlkönig“, „Das Veilchen“, „Der König in Thule“ oder „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn“ – sie alle wurden zuerst von literarischen Figuren gesungen, bevor sie im Wortsinn von Mund zu Munde gingen oder unter sprechenden Titeln wie „Gretchen am Spinnrade“die Konzertbühnen eroberten. Und eben das macht diese Lieder zu entscheidenden Scharnieren sowohl zwischen Fiktion und Wirklichkeit als auch zwischen Goethes klassischer Geltung und seiner anhaltenden Popularisierung, zu der Lieder und Songs noch immer einen wesentlichen Beitrag leisten.
Der Vortrag heftet sich den mobilen Liedern Goethes an die Fersen. Er verfolgt ihre zeitgenössische Auswanderung aus seinen Dramen, Romanen und Singspielen, spürt den weiteren Verbreitungswegen nach – einschließlich ihrer Integration in neue Werkzusammenhänge – und fragt nach den fiktiven Stimmen, die mitwandern und beim Nachsingen der Lieder zur eigenen Stimme werden.
Andrea Polaschegg ist Professorin für Neuere deutsche Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Bonn. Seit ihrer Dissertationsschrift zur Kulturgeschichte des deutschen Orientalismus, die sich auch dem „West-östlichen Divan“ gewidmet hat, forscht sie einerseits zu medien- und gattungspoetischen Themen, gebündelt publiziert in ihrem letzten Buch „Der Anfang des Ganzen“(2020). Andererseits beschäftigt sie sich mit modernen Transformationen der Antike und der Bibel, nachzulesen etwa in der Publikumsanthologie „Berlin – Babylon. Eine deutsche Faszination“(2017/18). Aktuell richtet sie ihre interdisziplinär geschärfte Aufmerksamkeit auf die kleine Form des Lieds als ebenso wirkmächtiger wie weithin unterschätzter Gattung ‚in Bewegung‘.
Der Vortrag findet im Festsaal des Goethe-Nationalmuseums statt, Beginn ist 18 Uhr. Der Eintritt ist frei, um eine Spende wird gebeten. Nach der Veranstaltung wird herzlich eingeladen, das Gespräch in geselliger Runde in einem Weimarer Restaurant fortzusetzen.
Titelbild: Georg Melchior Krauss: Szenenbild zu „Die Fischerin“ (1782); (c) Klassik Stiftung Weimar, Museen, Inv.-Nr.: Gr-2005/1393