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Eigenmächtige Nobilitierung – Peter Hacks über Goethe

von Andreas Rumler

Alle bekannteren Schriftsteller haben sich mit Goethe auseinandergesetzt und es ist interessant, ihre Aufsätze, Erzählungen, Romane, Theaterstücke zu lesen oder auf Bühnen zu erleben. Man erfährt viel über Goethe und eine Menge über den Autor. Thomas Mann benutzt – salopp gesagt – Goethe in „Lotte in Weimar“, um seine Position gegenüber den Nationalsozialisten und deren Vergewaltigung des Dichters zu präsentieren. Bewusst trug er seine Goethe-Ansprache in Weimar in der DDR und in der Bundesrepublik in Frankfurt vor, wie auch die Schiller-Rede in beiden Ländern, um Position zu beziehen. Auch andere Autoren geben spannende Einblicke, wenn sie Goethe und die eigene Arbeit reflektieren. Mitunter gewinnt dieser literarische Ahnenkult komische Züge, wenn Autoren sich optisch Goethe anverwandeln oder meinen, einen genialischen Gestus als Dichterfürst pflegen zu müssen.

Also nimmt man mit freudiger Erwartung die Aufsätze von Peter Hacks zur Hand. Immerhin war er ein wichtiger Autor, da darf man über seinen Weimarer Kollegen Erhellendes erwarten. Überschrieben ist der Band „Die Verteidigung Goethes – Essays zur Klassik“. Originell klingt der Titel: Die Vermutung, Goethe verteidigen zu müssen, überrascht. Geschenkt, Peter Hacks war nicht für Bescheidenheit oder Selbstzweifel bekannt. Hier tritt er unmissverständlich auf, Humor oder leise Ironie sind seine Sache in diesen Texten nicht.

Zu Peter Hacks bekanntesten Theatererfolgen gehört „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ von 1976. Das Ein-Personen-Schauspiel zählte zu den weltweit erfolgreichsten deutschen Bühnenwerken des letzten Jahrhunderts. Charlotte von Stein monologisiert gegenüber dem Hausherrn, der wird von einer ausgestopften Puppe repräsentiert.

Der nun vorliegende Band ist in 16 Kapitel gegliedert, das Vorwort von Hacks hat der Herausgeber Marlon Grohn mit dem Titel „Die Verteidigung Goethes“ (S. 7–12) versehen, abschließend liefert er ein Nachwort: „Zur Aktualität des Dilettantismus. Die Verhinderung von Kunst durch ihre Förderung“ (S. 245–268). Damit beschränkt er sich auf einen im Rahmen von Goethes Gesamtwerk eher marginalen Aspekt. Interesse wecken einzelne Überschriften wie „Goethes Schuld“ (S. 37–42) oder „Faust-Notizen“ (S. 43–51) und „Lenzens Eseley“ (S. 77–97). „Zwei Rezensionen von Goethe“ (S. 13–19 und S. 242) hat er ebenfalls in den Band aufgenommen.

Schwer erträglich macht die Lektüre die Anmaßung, mit der Hacks von Kollegen oder Wissenschaftlern spricht. Über einen international renommierten Philologen heißt es, er sei „ein selbst für die Verhältnisse eines nordamerikanischen Germanistikprofessors beachtlicher Idiot“ (S. 37). Die Ausführung endet mit der Überlegung, anlässlich der „Feier von Goethes 250. Geburtstag“ hielte Hacks es für „sehr nett“, diesen Wissenschaftler und zwei andere „Männer in der Ilm zu ersäufen“ (S. 42). Über Jacob Michael Reinhold Lenz erfahren wir, er sei „ein kleinerer Poet, auf den es sonst nicht ankommt“ (S. 77), er sei „von Kind an zum Geldverdienen unlustig, ein Pumpgenie und geborener Schmarotzer“ gewesen, seine „Faulheit war unüberwindlich, folglich überbaute er sie mit Größenwahn“ (S. 78). Dass Peter Weiss als „Schwätzer“ charakterisiert wird, überrascht dann nur noch bedingt (S. 121).

Leider hat der Herausgeber versäumt, der Sammlung erläuternde Anmerkungen beizufügen. Schön, dass man erfährt, ein Mensch mit dem nicht eben seltenen Namen Schröder habe „Hamlet“ bearbeitet und Hacks der Text gefallen hat: „Er ist sehr gut“ (S. 56). Aber um wen und worum es sich handelt, bleibt Hacks‘ Geheimnis, wohl auch das von Marlon Grohn, auf jeden Fall das des Lesers. Ebenfalls fehlt ein Register, was angesichts des Gehalts der Aufsätze keinen Verlust darstellt.

Resigniert, in der Hoffnung, von Hacks wenigstens etwas über Hacks zu erfahren, schlägt man Kapitel 10 auf: „Es ließe sich fragen … Zu ‚Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe‘“ – und wird doch wieder durch eine Folge seichter Floskeln enttäuscht (S. 116–123).

Die Essays sowie das Nachwort von Marlon Grohn erinnern an das „Gespräch im Hause Stein“: Einseitig und borniert hören sich diese Polemiken an. Man versteht, warum er in der DDR „Lord Hacks“ genannt wurde: Sein Sprachstil klingt nach eigenmächtiger Nobilitierung. Letztlich erfährt man nichts wirklich Relevantes. Schade, denn der Verlag gab sich Mühe, die Texte in einem hübschen Einband herauszubringen.

(c) Eulenspiegel Verlag

Peter Hacks
Die Verteidigung Goethes – Essays zur Klassik
herausgegeben von Marlon Grohn

Berlin 2023
272 Seiten
ISBN 978-3-359-03053-9

Preis: 20,00 €


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