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„…lief’re Göthe’n Stoff zu einer Ketzerey“ – Kotzebues „Graf von Gleichen“ neu ediert

von Andreas Rumler

Ein bekannter Literaturkritiker leistet sich regelmäßig den Scherz, Bücher, die er nur für bedingt lesenswürdig hält, im Wortsinn in die Tonne zu kloppen. Auch Goethe war für Scherze dieser Art zu haben. So nagelte er Friedrich Heinrich Jacobis Roman „Woldemar“ 1779 bei einem Fest der Hofgesellschaft in Ettersburg an eine Eiche und machte sich über das Buch lustig. Im Einvernehmen mit der herzoglichen Familie hatte Goethe die Lacher auf seiner Seite.

Schwieriger war die Situation für ihn, als 1815 der Geburtstag der Großfürstin Maria Pawlowna festlich begangen wurde. Zur Feier des Tages wurde unter anderem „Der Graf von Gleichen“ aufgeführt, aus der Feder des erfolgreichen wie auch produktiven August von Kotzebue. Harmlos klang das für Außenstehende, war aber nicht ohne Pikanterie, weil darin der Dichterfürst namentlich erwähnt wird: „…lief’re Göthe’n Stoff zu einer Ketzerey“ – so der Protagonist Ritter Hans Graf von Gleichen über seine Dreiecksbeziehung (S. 33) – und diese „Posse“ (S. 6) sich als Parodie auf Goethes „Stella“ lesen lässt.

Goethe und der Großherzog Carl August waren abwesend, erfuhren natürlich von diesem Ereignis, schadenfroh oder empört wurde es in literarischen Kreisen kolportiert. Gekränkt soll Goethe seinen Gefühlen im privaten Kreis lautstark Ausdruck verliehen haben. Hinter diesem kleinen Eklat und höfischem Amüsement steckt ein tieferes Problem. Verantwortlich als Schauspieldirektor und Intendant für das Theater, dessen Gunst beim Publikum und vor allem wirtschaftlichen Erfolg, stand Goethe vor der Frage, wessen Stücke Resonanz finden und die Kasse füllen. Ähnlich, wie Programmgestalter heute Einschaltquoten im Blick haben. Leider waren das aber weniger seine oder Schillers Werke. Als Publikumsmagnete erwiesen sich dagegen Schwänke und eben Possen von Kotzebue oder Iffland, sie standen deshalb weit häufiger auf dem Spielplan.

Berthold Heizmann, 1. Vorsitzender der Goethe-Gesellschaft Essen und als Biograf Kotzebues mit den Verhältnissen bestens vertraut, hat jetzt das „Spiel für lebendige Marionetten“ von Kotzebue „Der Graf von Gleichen“ neu herausgegeben und mit einem ausführlichen Essay erläutert. Schon Zeitgenossen wie der Publizist und Autor von Kirchenliedern Johann Daniel Falk urteilten eher zurückhaltend: „Dieß Stück … ist in der That voll der abgenutztesten Späße und Zweideutigkeiten, die Damen wußten oft bei der Aufführung nicht, wo sie sich vor Erröthen hinwenden sollten.“ (S. 50) Der Text basiert auf einer Sage und changiert zwischen unfreiwilliger Komik: „Der Frühling ist erwacht! Auf blumenreichen Fluren / Erblickt man überall unkeusche Creaturen“ (S. 7); und vorsichtiger Kritik an den Verhältnissen: „Der Zeitung darf man auch nicht eben viel vertrauen, / Weil sie nur drucken darf, was man ihr jetzt erlaubt.“ (S. 8)

Längst ist August von Kotzebues umfangreiches und zu Lebzeiten viel gespieltes Werk in Vergessenheit geraten, bekannter blieb er als Opfer eines Meuchelmords. Metternich nahm den als Anlass, mit den Karlsbader Beschlüssen Freiheiten der Presse und Literatur sowie der Universitäten einzuschränken. Goethe schätzte die Wirksamkeit auf der Bühne: Kotzebues „vorzügliches, aber schluderhaftes Talent“, wie er an von Knebel am 17. März 1817 schrieb. Friedrich Nietzsche soll Kotzebue als das „eigentliche Theatertalent der Deutschen“ bezeichnet haben. Am ehesten bekannt dürfte noch sein Lustspiel in vier Akten „Die deutschen Kleinstädter“ sein, der Ortsname Krähwinkel – übernommen von Jean Paul, dort hieß es Krehwinkel – steht bis heute für provinzielle Enge und Borniertheit.

Dass Goethe diese launige Geburtstagsfeier im Gegensatz zu seinen eigenen oft derben Scherzen gar nicht ergötzlich fand, sondern eher mit dem bekannten Zitat seines Titelhelden reagiert hätte und nach zeitgenössischen Berichten auch ähnlich deutlich formulierte, macht die eigentliche „Posse“ dieses Festes im herzoglichen Kreis aus. Dank der Neuedition von Bertold Heizmann kann man jetzt nachlesen, dass und warum es auch im klassischen Weimar bei höfischen Festen mitunter herzhaft menschelte.

(c) Wehrhahn

August von Kotzebue
Der Graf von Gleichen. Ein Spiel für lebendige Marionetten

hrsg. v. Bertold Heizmann

Hannover 2023
88 Seiten
ISBN 978-3-98859-027-5

Preis: 10,00 €


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