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Es waren die Freimaurer!

von Jochen Golz

Anmerkungen zu Almut Constanze Nickels Buch „Goethes Römisches Haus. Ein Freimaurertempel“

„Ja Andres, das ist er – der Platz ist verflucht. […] Das waren die Freimaurer, ich hab‘ es heraus.“ So äußert sich der körperlich und seelisch versehrte Woyzeck in Büchners Dramenfragment. Wenige Jahre nach Goethes Tod entstanden, spiegelt der Text etwas von dem geheimnisvollen Ruf wider, den die Freimaurerbewegung genossen hat und unter manchen Zeitgenossen immer noch genießt. Im 18. Jahrhundert schlossen sich Adlige und Bürger von Stand zu Freimaurerlogen zusammen, die ihre geheim gehaltenen Rituale auf die mittelalterlichen Bauhütten zurückführten. Im Zeichen aufklärerischer Ideale entstanden Debattierklubs, in denen Standesunterschiede aufgehoben waren und Probleme von gesellschaftlicher Relevanz diskutiert wurden. Im Gang der Geschichte veränderte sich auch die Situation der Freimaurer, deren obskur anmutende kultische Praktiken allerlei Spekulationen ins Leben riefen. Die deutschen Faschisten sahen in den Freimaurerlogen vor allem Repräsentanten der „jüdischen Plutokratie“ am Werke und verboten sie kurzerhand. Während die Logen in der Bundesrepublik wieder tätig werden konnten, blieben sie in der DDR weiter verboten. Erst die deutsche Einheit ließ sie auch in der ehemaligen DDR auferstehen.

In jüngerer Zeit ist die Geschichte der Freimaurerbewegung gründlich erforscht worden, nicht zuletzt auch das Wirken der Freimaurer im klassischen Weimar. Goethe und sein Herzog Carl August waren Freimaurer. Goethe, so lässt sich zusammenfassen, nutzte die Logensitzungen vor allem zu vertraulichen politischen Gesprächen von gleich zu gleich, während er zu den Ritualen ein eher skeptisches Verhältnis einnahm. Die Situation veränderte sich, als mit den Illuminaten eine Spielart der Freimaurer auf den Plan trat, die eine strikt hierarchisch gegliederte innere Ordnung mit umstrittenen politischen Zielen verband; am Hof in Gotha fanden die Illuminaten hochrangige Sympathisanten, während in Weimar ihr Treiben eher mit Argwohn verfolgt wurde und sich die ehemals Interessierten zurückzogen. Goethe wie Carl August ließen sich von der Auffassung leiten, dass der Streit um Wahrheit und allgemeines Wohlergehen nicht im Geheimen, sondern vor den Augen der Öffentlichkeit ausgetragen werden müsse. Ihr Verhältnis zur Freimaurerei lockerte sich, wenngleich Goethe auch in späteren Jahren – Repräsentant des gesellschaftlichen Status quo, der er nun einmal war – einige Gelegenheitsgedichte für maurerische Anlässe schrieb und auch seiner für die Weimarer Loge bestimmten Trauerrede für Wieland den Titel „Zu brüderlichem Andenken Wielands“ gab.

Zur Freimaurerei liegen gediegene wissenschaftliche Studien vor; nach der Jahrtausendwende war auch eine Ausstellung zu den Freimaurern in Weimar zu sehen, deren Katalog ebenfalls zahlreiche solide Auskünfte bereithält. Im Literaturverzeichnis des vorliegenden Buches sind diese Publikationen in Auswahl verzeichnet. Wer aber annimmt, dass deren Ergebnisse in die Darstellung eingeflossen sind, erliegt einem Irrtum. Es wird postuliert, dass der „Freundschaftsbund“ zwischen Carl August und Goethe „masonischen Ideen verpflichtet“ war (S. 55), ohne dass dafür ein einziger Quellenbeleg angeführt wird. In meinen Augen war die Freimaurertätigkeit für Carl August und Goethe vor allem politisch motiviert. Hier aber muss ein ideelles Fundament spekulativ herbeigerufen werden, um die These des Buches herzuleiten, dass es sich beim Römischen Haus im Ilmpark um einen masonischen Tempel handelt, an dem Bauherr Carl August und planender Architekt Goethe gemeinsam beteiligt waren; Goethe sei „der eigentliche Architekt“ gewesen (S. 14). Nun gab es daneben noch den Architekten Ahrens, es gab andere ausführende Künstler, die allesamt aus dem Geist der Freimaurerei – Goethes „masonischen“ Intentionen folgend – kreativ geworden sein sollen; deren (stets korrekt nachgewiesene) Zugehörigkeit zu den Freimaurern reicht aus, um ihnen schöpferische Tätigkeit im Zeichen der Freimaurerei zuzuweisen. Charakteristisch die wiederkehrende Formel vom „gegebenen“ oder „masonischen“ Kontext. Einfach gesagt: Es gab diesen Kontext nicht, mit keiner Zeile ist er dokumentiert, und dass der repräsentative Studienband zum Römischen Haus, verantwortet von dem renommierten Kunsthistoriker Andreas Beyer („Das Römische Haus in Weimar“, München / Wien 2001), kein Wort darüber verliert, hätte der Autorin zu denken geben sollen. Sie verfolgt hartnäckig die These, dass der von ihr postulierte „masonische Kontext“ eben noch nie bemerkt worden sei. Einmal auf diesem Wege, bezieht sie nahezu die gesamte Bautätigkeit im Ilmpark in ihre Behauptungen ein; das Tempelherrenhaus z. B. stelle ein „Bindeglied“ (S. 71) zwischen Parkarchitektur und Römischem Haus dar. Für das Römische Haus habe Goethe ein „Symbolprogramm“ (S. 72) entwickelt, das Raum für Raum ‚entschlüsselt‘ wird. Nicht gedacht wird der Tatsache, dass die Freimaurer in ihrer baulichen Tätigkeit Anleihen bei der gesamten europäischen und außereuropäischen Kulturgeschichte aufnehmen konnten, keine Berücksichtigung findet, dass zu Goethes „Symbolprogramm“ nichts überliefert ist.

Die „masonische“ Exegese des Römischen Hauses nimmt etwa die Hälfte des Buches ein. In der anderen begibt sich die Autorin auf Spurensuche im Park an der Ilm, entdeckt z.B. in dem erst in Goethes letzten Lebensjahren entstandenen Mosaikpflaster vor dem Gartenhaus einen Freimaurerbezug und widmet sich nicht zuletzt auch literarischen und bildkünstlerischen Themen; selbst in Tischbeins berühmtem Goethe-Porträt entdeckt sie „masonische Implikate“ (S. 98). Es kann nicht überraschen, dass sie sich vor allem Goethes „Märchen“ zuwendet, jenem Text, über dessen waghalsige zeitgenössische Auslegungen sich schon sein Schöpfer erheitert hat. Bis heute, so konstatiert die Autorin, habe der Text „keine schlüssige Deutung“ gefunden (S. 107), noch nie sei er „in Bezug auf das Römische Haus gelesen worden“ (S. 100). „Einzig Goethes Freimaurerei“ ergebe „eine nachvollziehbare […] Interpretation.“ (S. 118) Auf dieser Bahn bewegt sich die Autorin unbeirrbar, ohne dass sich irgendein wirklich schlüssiger Bezug entdecken ließe. Goethes „Märchen“ bleibt ein freies Spiel der Phantasie, dessen Interpretation, wenn überhaupt, im Zeichen ironischer Relativierung stehen sollte. In der Auslegung der Autorin bleibt Goethe konsequenter Freimaurer bis in seine letzte Stunde; selbst das höchst umstrittene „Mehr Licht“ wird maurerisch gedeutet.Für ihre Ausdeutungs-Expedition ins klassische Weimar hat die Autorin Fleiß und Mühe nicht gescheut, viele Details in klarer und anschaulicher Sprache zusammengetragen. Die Probleme geben sich überall dort zu erkennen, wo der Schritt von der Beschreibung des kunsthistorischen Details zu dessen „masonischer“ Zuordnung vollzogen wird; dann erhält die Darstellung eine verschwörungstheoretische Dimension. Wer als Weimar-Tourist einen Zugang zum Park an der Ilm, seinen Denkmälern und Bauwerken sucht, sollte auf die Veröffentlichungen zugreifen, die in der Verantwortung der Klassik Stiftung entstanden sind.

Almut Constanze Nickel
Goethes Römisches Haus
Ein Freimaurertempel

Verlag Peter Lang, Berlin 2020
2., überarbeitete und ergänzte Auflage
135 S.
ISBN: 978-3-631-83210-3

Preis: 27,95 €

Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter der Goethe-Gesellschaft, Ausgabe 4/2020.


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